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Wer bin ich wirklich?

„Wer bin ich denn wirklich?!“ Eine Frage, die sich viele Menschen im Laufe ihres Lebens mehr als einmal stellen. Eine Frage, die sich – wie sich dann heraus stellt – nicht so auf die Schnelle beantworten lässt. Warum nicht? Weil die Antwort auf diese Frage nicht denkbar oder sagbar ist. Weil die Antwort auf diese Frage nur erfahrbar ist. Ist sie nur erfahrbar, dann wissen wir erst, wer wir wirklich sind, wenn wir wirklich derjenige sind, der wir wirklich sind. Und da wir es nicht denken können, haben wir keine Vorstellung von diesem „wirklichen Sein“. Da unser Verstand aber eine Vorstellung braucht, flüchten wir uns aus. Und da diese Ausflüchte eben nur im Denkbaren bleiben, unterscheiden sie sich nicht so sehr von unserem bisherigen – uns irgendwie als nicht wirklich erscheinendem – Sein. Wir bemerken das natürlich. Und raufen uns die Haare bei der dann folgenden Frage: „Wie komme ich denn dahin? Zu meinem wirklichen Sein. Was immer das auch ist.“

Da wir es nicht denken können, können wir es nicht bewusst erreichen. Das ist auch gut so. Unser Verstand würde nur wieder versucht sein, dieses Sein nach seinen (altbekannten) Vorstellungen und Schubladen zu gestalten und somit zu entstellen. Wir können dieses Sein nur kommen lassen. Von alleine. Es entstehen lassen. Von alleine. Ihm den Weg bereiten und schauen, wer auf diesem Wege zu uns kommt. Unser wirkliches Sein steht in keinem Zusammenhang mit den für uns geltenden menschengemachten gesellschaftlichen, moralischen, familiären oder religiösen Normen. Diese Normen sind eine dicke Schicht um uns herum, die unser Handeln bestimmen. Die unser Denken bestimmen. Und die unsere Wahrnehmung bestimmen. Sie bestimmen: Dies geht. Das geht (für Dich) nicht. Dies ist (Dir) erlaubt. Das nicht. Dies zu denken ist rechtens. Das ist es nicht. – Unser Sein ist genormt. Genormt nach den zufällig hier und jetzt geltenden erlaubten und nicht erlaubten Anschauungen. Hundert Jahre früher oder später oder 1000 Kilometer mehr nach Osten oder Westen sehen diese Anschauungen schon wieder ganz anders aus. Sie sind letztendlich Zeitgeist und beliebig. Sie sind menschengemachte Meinung und nichts Ewiges.

Um unser wahres Ich zu erkennen (und dies geht eben nur dadurch, dieses wahre Ich zu werden), müssen wir bereit sein, im Zweifel alles aufzugeben, was uns in dieser normativen Umhüllung hält. Wir müssen bereit sein, alles aufzugeben, was uns zu einem anerkannten oder wenigstens geduldeten, weil nach geltenden Normen funktionierendem, Wesen macht.

Diese Bereitschaft bedeutet letztendlich, dass ich bereit bin, für mein Handeln und für mein Dasein auch gesellschaftliche Verachtung zu erdulden, wenn meine wahre Existenz, die auf dem Weg, den ich bereitet habe, zu mir gestoßen ist. Ich muss im Äußersten bereit sein, allem, was nach den menschengemachten (hiesigen, lokalen und beliebigen) Normen erwünscht ist und positiv sanktioniert wird, zu entsagen. Ich muss bereit sein, meine Existenz ohne die gesellschaftlichen lenkenden und einhüllenden Schichten frei atmen zu lassen. – – – Ich habe sehr bewusst „im Äußersten“ geschrieben. Es muss nicht sein, dass bei Ankunft des wahren Selbst die Entwicklung in diesem äußersten Maße eintritt. Nur: Die ganz allgemeine Bereitschaft dazu muss vorhanden sein. Das gehört zur Bereitung des Weges.

Wie bereite ich denn nun den Weg weiter? Wie lasse ich mein wahres Ich denn zu mir kommen? Als wir Kinder waren, da wussten wir, wer wir sind. Wir wussten es, weil es für uns noch nichts anderes gab, was wir „wussten“. Die Welt war für uns noch nicht in viele Ansichten und Meinungen aufgespalten. Und da die Entwicklung der gesamten Menschheit erstaunlich offensichtlich so abläuft, wie die Entwicklung des einzelnen Menschen, komme ich wieder auf unsere Vorfahren zurück, die in der Kindheit der Menschheit lebten.

Unser beispielhafter Vorfahre lebte in einem Familienverband oder einer Sippe von vielleicht fünf bis zehn Personen. Die Ansichten dieser fünf bis zehn Personen, waren die einzigen Ansichten, die außerhalb seiner Selbst Einfluss auf ihn ausübten. Wir können davon ausgehen, dass diese Ansichten ihm nach einer gewissen Lebensspanne nahezu vollständig bekannt waren. Da unser beispielhafter Vorfahre im selben Umfeld wie die fünf bis zehn Personen seiner Sippe lebte und den selben äußeren Eindrücken ausgesetzt war, ist zu vermuten, dass sich seine und ihre Ansichten sowieso nur in einem sehr geringen Prozentsatz von einander unterschieden und aufgrund der geringen Ablenkungen auch nicht besonders umfangreich waren. Sie hatten also sehr wenige und dann auch noch sehr ähnliche Ansichten. Zu diesen persönlichen Ansichten hinzu kam noch ein Faktenwissen, das durch die alltägliche Interaktion mit der umgebenden Schöpfung bedingt wurde. In etwa so etwas wie „Nasse Steine mit Laub darauf sind rutschig. – Diese Wurzel ist essbar. – Wenn dieses Tier so guckt, dann lauf so schnell Du kannst!“

Unser Vorfahr war somit beeinflusst durch einen unter sechs bis 11 Personen geltenden Konsens, der überwiegend auf Erfahrungen mit der unbeeinflussten Umwelt beruhte und vielleicht noch zwei Dutzend Einzelmeinungen, mit deren für oder wider er sich auseinandersetzen konnte. Das war es. Der Rest seiner Existenz war er selbst. Und da mit den obigen auf ihn wirkenden Aspekten alles, was für ihn zu diskutieren gewesen wäre, abgedeckt war, befand sich diese seine übrige – wahre – Existenz jenseits des diskutierbaren materiellen Seins. Er war einfach diese Existenz. Nicht erörterbar. Nicht beurteilbar. Nicht in für und wider aufteilbar.

– Nun schauen wir auf unsere Existenz. Unsere Interaktion mit dem Fließen der natürlichen Umwelt ist so gut wie null. Außer vielleicht beim Walking, Hiking oder Carving wobei dort die Kleidung, der Fitnessgedanke, die Langeweile etc. im Vordergrund stehen. Die Natur ist überwiegend Kulisse für fruchtlose Versuche zur Verwirklichung des von ihr abgetrennten, komplizierten künstlichen Selbsts des einsamen Menschen. Es gibt für uns keine direkte und einfache Art von Erfahrungen in der Qualität, wie sie unser sich im Fluss befindliche Vorfahre hatte. Stattdessen beruht unsere Entscheidungsfähigkeit und unsere Beurteilungskraft der Welt auf Normen, die häufig bereits einen globalen Charakter haben und die weder räumlich, noch von ihren Dimensionen, noch von den Gründen ihrer Aufstellung von uns in irgendeinen überschaubaren Zusammenhang mit unserer persönlichen Existenz gebracht werden können. Dazu sind wir noch überladen mit den Meinungen und Ansichten tausender und abertausender unruhiger Geister, die uns über das Internet, das Fernsehen, das Radio, die Musik und Bücher ihre Ansichten als zu bedenkende Aspekte unserer Existenz offerieren – ich muss mich leider dazu zählen – und die wir in unserer Hilflosigkeit auch noch mit in das Konstrukt unserer Existenz mit einbeziehen. Sicher ist sicher. Man will ja nichts übersehen. Da bleibt nicht viel Raum und Zeit für weiteres.

Wie bereite ich denn nun den Weg? Wie lasse ich mein wahres Ich denn zu mir kommen? Ich glaube, die Antwort ist zu erahnen. Indem ich mir Raum und Zeit schaffe. Indem ich die unruhigen Geister aus meinem Leben – zumindest für eine gewisse Zeit. Oder gerne auch dauerhaft. – verbanne. Indem ich mich wieder auf den Konsens meiner Sippe, meiner allernächsten Umgebung, als der kleinsten Einheit reduziere. Indem ich die für mich geltenden Regeln auf ein Minimum reduziere. Auf ein Minimum, das mir das Leben als sozial interagierendes Wesen in meinem Umfeld ermöglicht, das aber für mich überschaubar und begreifbar bleibt. Dann sind wieder Kapazitäten frei, die es mir erlauben, mein wahres Ich zu empfangen. Und genau so, wie dieses Empfangen ein rein innerer Vorgang ist, so ist auch die Reduzierung ein innerer Vorgang. Die Reduzierung bedeutet nicht Widerstand oder Konflikt. Sie bedeutet nicht Abgrenzung und Konfrontation. Dies würde nur bedeuten, dass man auf seinem äußeren Ego beharrt und somit doch nur im Kampf mit den Umständen – mit den Dingen – bleibt. So kann man nichts Wahres empfangen.

„Den Weg zu bereiten“ geht sanft und in Liebe. Das Ablegen der überflüssigen verwirrenden Normen, die Reduzierung der Einflüsse von Außen bedeutet Befreiung. Befreiung bedeutet Ruhe. Ruhe bedeutet Gelassenheit. Gelassenheit bedeutet Großherzigkeit. So gehen wir durchaus den Weg mit unseren Mitmenschen. Aber wir tun es anders und vor allem immer mit Liebe.

Und in diesem ruhigen Schreiten, da ist es dann auf einmal. Erst bemerken wir es gar nicht, doch dann taucht etwas aus dem toten Winkel neben uns auf. Wir blicken zur Seite. Und dann sehen wir es: Unser wahres Selbst. Lange ging es schon mit uns. Immer einen Schritt hinter uns und unbemerkt. Jetzt, da wir schreiten und nicht mehr rennen, holt es auf. Und es geht nun neben uns. Im gleichen Schritt. Im gleichen Rhythmus schreiten wir nun durch unser Sein. Geschwister, die nun endlich wieder zueinander gefunden haben. Kraftvoll und erhobenen Hauptes schreiten wir sanft gemeinsam – als ein Ganzes – durch die Zeit.

Niemals darf der Schmerz uns leiten. Unser Handeln erwächst aus dem angstlosen Wissen um unsere Geborgenheit im Sinn, um unsere Beseeltheit und um die ewige Einheit von allem. Wir handeln immer in Liebe zu allem und jedem. Es existiert keine innere Trennung. Niemals darf der Schmerz allein uns leiten.

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