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Was heißt „radikal“?

Vielleicht liegt es im Gottesglauben (oder dem Glauben an das Göttliche, an einen Schöpfer oder auch ganz anders ausgedrückt) selbst, dass er nach außen den Menschen oft „radikal“, „fanatisch“ oder auch einfach nur „streng“ erscheint.

Die Erkenntnis der eigenen Beseeltheit und das Zusammenführen des Seelischen und des Dinglichen in seiner Existenz führt beim Erkennenden zwangsläufig zu Veränderungen, die den übrigen Menschen in ihrem überwiegend konsumbestimmten und materiellen Leben fremd sind. Und Fremdheit erzeugt Angst.

Ich kann nur für mich sprechen. Das Erkennen von ewigen Wahrheiten führt dazu, dass es für mich in der Welt einige neue Faktoren gibt, die es in meinem Leben zu berücksichtigen gilt. Diese Faktoren lassen sich weder abschwächen, noch wegdiskutieren noch gibt es dort irgend eine Form von Kompromissen. Ein Grund dafür, dass die Menschen mich nicht fürchten und nicht als „fanatisch“, „radikal“ oder „streng“ bezeichnen, ist der, dass mein Wandel sich in meinem Inneren vollzieht. Ich dränge nicht nach außen. Ich beunruhige die Menschen nicht dadurch, dass ich ihnen aufzwinge mich anzusehen und mir zuzuhören (schlimmer noch: dadurch, dass ich erwarte, dass sie mir gleichtun!). Ein anderer Grund ist der, dass ich unser aller innere Einheit erkannt habe und daher den Menschen mit innerer Liebe (was nicht unbedingt äußere bedeutet!) begegne. Und da sich meine „Radikalität“ nicht besonders „radikal“ im üblichen Sinne im äußeren fest macht, wird aus „radikal, fanatisch und streng“ „seltsam, eigenwillig und apart“. Man wird spöttisch belächelt und nicht gefürchtet. Und ich bin nur einer. Möglicherweise würde aus Spott schnell wieder Angst, wenn sich 20 meiner Art auf einem Haufen zusammen finden würden. Sie würden das Gleiche tun wie alleine auch, aber nun erzeugt es ein Unwohlsein. Die Angst vor dem Fremden… Vielleicht müssten es auch gar nicht zwanzig sein. Vielleicht reichten schon drei.

Die Strenge, der Fanatismus und die Radikalität sind bei mir die gleichen, mit der jeder Mensch jeden seiner Atemzüge machen muss. Es gibt keinen Kompromiss. Man kann das Atmen nicht wegdiskutieren oder abschwächen. Der Verstand kann mit seinen Methoden dort nichts erreichen, verwässern oder in seinem Sinne lenken. Das Atmen ist ein unumgänglicher Faktor unserer Existenz. Atmen wir nicht, dann können wir nicht existieren. Ich denke – ich weiß es nicht – dass es so bei allen religiösen „Fanatikern“ und „Strenggläubigen“ ist, die wir über die Medien oder im Urlaub oder auch manchmal bei uns in der Nachbarschaft mit ihren eigenartigen Praktiken und ihrer eigenartigen Kleidung zu Gesicht bekommen. Aufgrund ihrer inneren Erkenntnis können sie nicht anders. Ob diese Kleidung, die Praktiken dieser Menschen und ihr nach außen drängen und ihre Motive „richtig“ sind, entzieht sich meiner Beurteilungskraft und soll hier auch nicht beurteilt werden. Ob Mormonen, Sufis, Evangelikaner, Opus Dei, der Papst, Arbeitswütige, „Islamisten“, buddhistische Mönche, Einsiedler, Bankmanager oder welche „radikale“ oder „strenge“ Gruppe oder Person wir auch nehmen: Sie alle meinen, einem inneren Ruf zu folgen, der sich nicht abschwächen oder wegdiskutieren lässt. Ob und wer von denen einem goldenen Kalb hinterher läuft und wer eine „wahre“ Erkenntnis hat… wer soll das beurteilen. Im Zweifel zeigt jeder mit dem Finger auf den anderen, denn die eigene innere Haltung ist unumstößlich… So fühle ich eben auch. Ganz radikal und streng. Ich habe recht mit meiner Weltanschauung. So meine ich. Das ist das, was religiöse Gruppierungen so unangenehm und oft unsympathisch macht. Sie passen nicht in unsere Welt voller individualisierter Beliebigkeit. Niemand „muss“ hier (scheinbar). Jeder „darf“. Jeder baut sich seinen Lifestyle und seine „Spiritualität“ im großen Supermarkt der Meinungen durch materiellen Konsum so zusammen, wie es ihm passt. Um morgen wieder neu shoppen zu gehen und alles ganz anders zu sehen. Das neue Buch von XY zu kaufen. Der Verstand betäubt den Menschen mit schönen Klängen, Düften und wohlklingenden Parolen. Der Mensch kommt über die Dinge nicht hinaus. Dient aber durch den Kauf der verfügbaren „spirituellen“ Lifestyleprodukte wenigstens dem Bruttosozialprodukt. In dieser weichgespülten Welt des äußeren Besitzes, die auch so schon für den Einzelnen kompliziert und unübersichtlich genug ist, passt es nicht hinein, wenn auf einmal jemand um die Ecke kommt und sagt: „Passt mal auf. Ich habe da etwas erkannt. Um über Eure äußeren Räucherschalen und Sarongs und ’namaste’s und ‚blessed be’s und ‚OM’s und Engel und Karten und Bücher hinaus zu kommen, müsst ihr dieses oder jenes tun (oder nicht tun oder was auch immer dieser jemand vertritt). Kompromisslos. Da gibt es kein Wischiwaschi (Wer einen Bankkredit hat, der weiß auch, dass es da ebenfalls kein Wischi-Waschi bezüglich der Rückzahlungmodalitäten gibt). Wenn ihr erkennt, dann könnt ihr sowieso nicht anders als so zu handeln. Handelt ihr nicht so, dann habt ihr auch nichts erfasst. Dann seid ihr immer noch Gefangene der äußeren Konsumwelt mit ihren materiellen Industrieregeln. Also entweder ihr handelt so (oder nicht so oder was auch immer) oder es gibt außer äußerlichen Dingen nichts für Euch zu erreichen. Dann seid Ihr eigentlich schon tot.“ Alle Menschen mit einer Gotteserfahrung denken mehr oder weniger überspitzt so (Das behaupte ich jetzt einmal). Der Unterschied ist nur, dass bei den einen aus „ihr müsst“ ein „ihr solltet“ geworden ist und es wiederum den übrigen völlig egal ist und sie keinerlei missionarisches Mitteilungsbedürfnis den Menschen gegenüber verspüren. Sie sind in der Stille. Im inneren Rückzug. In Ruhe mit sich selbst und der Welt. Sie gehen ihrem Job nach und fallen nicht auf. Ich glaube, dass es sehr viele von diesen „unerkannten Radikalen“ gibt und dass das Gegengewicht ihres inneren Wirkens gegenüber der herrschenden materiellen Einseitigkeit es überhaupt ermöglicht, dass unsere Welt existiert, dass sie sich überhaupt in einem fragilen Gleichgewicht befinden kann. Je lauter und sinnesbetäubender der Verstand die Welt gestaltet, um ihr mit viel TamTam die Illusion von Leben einzuhauchen (Spannung! Spaß!) desto stiller und unauffälliger werden die, die in der Einheit stehen und ihr Inneres pflegen. Sie scheinen gar nicht zu existieren…

Einen Acker zu bestellen, um das Jahr über Nahrung zu haben, erschließt sich jedem Verstand in seinem logischen Zusammenhang. Das Bestellen ist der äußere Ausdruck der Notwendigkeit, zu essen. Dass der Bauer „radikal und streng“ darauf besteht, seinen Acker Jahr für Jahr zu bestellen, um nicht verhungern zu müssen, sieht der Verstand als ein „natürliches“ Verhalten an. Zur Deckung des inneren Nahrungsbedarfs (der genauso lebensnotwendig ist wie der äußere) muss ebenfalls ein Acker bestellt werden. Dies ist nur kein Acker im herkömmlichen Sinne und das Bestellen unterscheidet sich „radikal“ von der im Materiellen bekannten herkömmlichen Art und Weise. Es äußert sich in einer inneren und äußern Haltung, die die innere Nahrung gedeihen lässt. Und diese Haltung (gerade in ihrer Kompromisslosigkeit) und damit verbundenes Verhalten erscheint dem beobachtenden Verstand als „radikal“ (oder als „spinnert“. Je nachdem). Weil sich ihm der logische Zusammenhang, die Ursache und das Ziel nicht erschließen. Weil es außerhalb seines Wahrnehmungs- und Begriffsvermögens liegt, zu erkennen, dass es solcher Parameter gar nicht bedarf. Die Kompromisslosigkeit des materiellen Bauern sieht der Verstand als „zielstrebig“ oder „ausdauernd“ an. Die Kompromisslosigkeit des seelischen Bauern sieht der Verstand als „radikal“ oder „verbissen“ an. Dabei besteht zwischen den beiden keinerlei Unterschied.

Es ist unmöglich, dauerhaft die Luft anzuhalten. Vielleicht kann man flach atmen. Aber der Atem reguliert sich selbst, wenn der Verstand es müde wird, ihn zu kontrollieren. Je gesünder dieser ist, desto tiefer geht er.

Niemals darf der Schmerz uns leiten. Unser Handeln erwächst aus dem angstlosen Wissen um unsere Geborgenheit im Sinn, um unsere Beseeltheit und um die ewige Einheit von allem. Wir handeln immer in Liebe zu allem und jedem. Es existiert keine innere Trennung. Niemals darf der Schmerz allein uns leiten.

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