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Glück und Unglück

In den meisten – vielleicht sogar in allen – Kulturen gibt es fromme oder auch ganz alltägliche Geschichten, deren Moral es ist, dass nichts, was einem geschieht als absolutes Unglück betrachtet werden könne. Das Unglück kann immer das Tor oder der Toröffner für ein kommendes Glück sein. In der Regel ist das eine Aussage, der jeder im Allgemeinen schon zustimmen kann. Es kann nun doch möglich sein, dass sich ein solcher Fall irgendwann einmal zuträgt. Aber wahrscheinlich ist doch das Gegenteil. Hat man das Unglück, dann hat man es erst einmal ausgiebig. So denkt man…

Ich möchte eine eigene Geschichte über Glück und Unglück erzählen. Sie ist vielleicht etwas langatmig, aber Unglück und Glück folgen nun einmal nicht immer so prompt aufeinander, wie man es sich wünschen würde, um eine kurze Geschichte daraus zu machen.

Die Geschichte beginnt mit einem Traum. Wenn wir träumen, dann wandert unsere Seele in der Raum- und Zeitlosigkeit. Sie befindet sich „dort“, „wo“ alles, was war und wird, alles, was gesagt und gedacht wurde und werden wird, an einem Angelpunkt vereinigt ist und teilt mir etwas auf der Ebene des Denkens (ist Denken vielleicht auch träumen? Kommt jeder Gedanke vielleicht letztendlich von diesem „Ort“?) und des Handelns (sieht es mit dem „Handeln“ vielleicht genauso aus?) mit.

Der Traum ist im Groben schnell erzählt: Ich bin sehr schnell in einer Stadt unterwegs. Ich wechsele mehrfach die Fahrzeuge. Der Geländewagen meines Vaters. Eines meiner alten Motorräder. Ich muss an den Ampeln aufpassen, dass ich nicht auf die Kreuzung geschoben werde. Ein Hubschrauber landet auch noch vor mir. Eine wilde Fahrt. Letztendlich fahre ich mit meinem Motorrad mit völlig überhöhter Geschwindigkeit in eine Tiefgarage. Die Einfahrt ist breit, macht eine Rechtskurve und ist nicht vollständig einsehbar. Währenddessen habe ich einen Gesang auf den Lippen. Ich schmettere ihn wie im Rausch. Es ist eine Abfolge von vier Tönen LA, LA, LA, LAAAAA!, LA, LA, LA, LAAAAA! Immer wieder während ich die Einfahrt hinunter rase. Dann wird es schwarz. Ich höre nur noch meinen Gesang aus der Dunkelheit. Im nächsten Augenblick finde ich mich wieder, wie ich mich über eine stählerne Wendeltreppe, auf den Stufen liegend, aus der Tiefgarage schleppen will. Immer noch hallt dieser eigenartige Gesang im Hintergrund. Ich hänge auf dieser Treppe. Schwer verletzt! Kaltes Grauen fasst mich, weil ich nicht weiß, was zwischen meiner Einfahrt in die Tiefgarage und diesem Moment passiert ist. Es muss ein grauenvoller Unfall gewesen sein, an den ich keinerlei Erinnerung mehr habe. Ich hänge an dieser Treppe und wage es nicht, mich zu rühren! Jede Bewegung könnte grauenvolle Schmerzen verursachen! Wer weiß, welche Knochen alle zerbrochen sind! Vielleicht bin ich völlig zerschmettert! Wie bin ich im Blackout hier hin gelangt? Diese Melodie singend und mit gebrochenen Knochen. Was zum Himmel ist vorher für eine zerschmetternde Katastrophe passiert?

Soweit zu dem Traum, der das Kommende ankündigte. Da alles von uns seine Wurzel in der Einheit der Seelenwelt hat, haben unsere Seelenerfahrungen (Träume) auch auf allen Ebenen Bedeutungen. Sowohl auf der physischen als auch auf der – ja, wie nennen wir es? – mentalen, gedanklichen, nicht stofflichen Ebene. Ich fasse das bewusst so weit und offen.

Auf der nicht stofflichen Ebene zeigte sich mir die Bedeutung recht klar. Ohne es dem Leser jetzt einzeln aufzeigen zu wollen: Es ging um eine Konzentration auf das Weltliche, die Überhand nahm und auch die Konsequenzen, wenn ich voller falschem Übermut mit meine Gedanken woanders in die verborgenen Welten gehen will. Viel zu schnell und ohne zu schauen, wie es hinter der Kurve aussieht. Diese Belehrung nahm ich gerne an und erkannte die darin ruhende Wahrheit. Zwanzig Jahre zuvor – ich habe die Geschichte bereits erzählt – hatte ich einen entsprechenden Motorradunfall. Mir gefiel die physische Ebene in diesem Traum nicht und ich fragte mich, was denn da auf mich zu kommen würde.

Knapp eine Woche später passierte es: Ich ging mit Charlotte und unserem Hund Pia an einem kleinen Waldteich spazieren und während ich über eine wunderschöne am anderen Ufer stehende herbstlich gefärbte Buche sinnierte, machte ich mit meinem linken Fuß einen Schritt vorwärts. Dann ging alles – wie man so zu sagen pflegt – sehr schnell : Mein linker Fuß setzte auf und rutschte im gleichen Augenblick wie auf einer geneigten Eisfläche (es war ein kleines nasses, glattes und geneigtes Stück Wurzel) nach rechts-innen. Ich fiel wie ein seiner Statik beraubter, gefällter Baum zur Seite – „Das ist es!“ dachte ich noch im Fallen – und schlug mit meinem seitlichen Brustkorb auf die Kante eines in Bodennähe befindlichen Baumstumpfes auf. Es knackte und ich musste – wie damals mit dem Motorrad – vor Schreck und/oder Schmerz erst einmal ein wenig schreien (und auch kräftig fluchen). Nun lag ich da, das halbe Gesicht im weichen und so wohlriechenden Waldboden vergraben, regungslos, zu Charlotte, die neben mir kniete, hinaufschielend, schon wieder süß-sauer und ein wenig verzerrt grinsen könnend „Mannomann, was ein Mist!“. Stille kehrte wieder ein. Und ich traute mich – wie im Traume und wie damals nach dem Motorradunfall – nicht, mich zu bewegen. Zu groß war die Angst davor, jetzt die definitiv gebrochenen Rippen zu verschieben und dadurch vielleicht einen Schwall von Schmerzen auszulösen. Wie im Traum – und wie nach dem Motorradunfall – wusste ich nichts vom Ausmaß meiner Verletzungen.

Mit vorsichtigen Aufrappeln ging es dann und wir kamen auch wohlbehalten zu Hause an.

Nun konnte ich nachts nicht im Bett liegen. Zu groß waren die Schmerzen, so dass ich nun einige Wochen wohl oder übel, gut mit Kissen gestützt und fixiert, im Halbsitzen schlafen musste. Was für ein Unglück das alles war!!!

Soweit das Unglück, wie es seinen Lauf genommen hatte. Und wie es im Traume angekündigt worden war. Der Motorradunfall – Es wird sein wie… so,… wie… wie damals…! der Motorradunfall! Ein Sturz aus dem Nichts. Die Verletzungen glimpflich. Wie damals. Der Unfall vor zwanzig Jahren! Das Bild passte gut zu dem, was die reisende Seele in jener Nacht im Traume erfahren hatte. So wurde mir dann das Orakel-Bild zu teil. Eine vergangene Erinnerung als Bild für eine zukünftige Erinnerung.

Danach begann das Glück: Nach einer Woche Sitzschlaf stellte ich fest, dass ich erstaunlicherweise morgens nicht mehr so erschlagen war wie ich es früher morgens gewesen war. Sicher war ich hundemüde vom ewigen nächtlichen Aufwachen durch die ungewohnte Schlaf-Position, aber ich war nicht mehr so erschlagen. Früher hatte ich morgens Kopfschmerzen, die Waden taten mir weh und mein Blutdruck war wahrscheinlich jenseits von gut und böse. An diesen Morgenden war ich mir sehr im Klaren darüber, dass ich unter diesen Umständen wahrscheinlich nicht mehr lange auf Erden weilen und wohl in nicht allzu ferner Zukunft das Zeitliche segnen werde. Warum das auch immer so sein sollte. Nach dem Aufstehen war dann alles scheinbar wie weggeblasen – bis zum nächsten Morgen. Einige Zeit vor dem Unfall begann ich aktiv zu bitten, dass mir in diesem Punkt Heilung zukommen möge. Ich war wirklich besorgt und mein Wunsch, einem nächtlichen Schlaganfall zu erliegen, war gering.

Hausstaubmilben! Beziehungsweise der Kot dieser Tiere. Eine Allergie! Lag ich die Nacht über im Dunst der mikroskopisch kleinen schwebenden Ausscheidungen der in den Betten (in allen Betten dieser Welt, möchte ich hinzufügen) in Massen lebenden mikroskopisch kleinen Spinnentiere, spielte mein Organismus verrückt. Saß ich im Bett, dann atmete ich frei wie ein kleines Kind und erwachte frisch und kraftvoll! Wir kauften milbenkotdichte Unterbettwäsche und das war es! Ich bin genesen. Die Bitte erfüllte sich und das Unglück des Sturzes brachte das Glück. Eigentlich war es nicht verwunderlich. Spinnen haben für mich einen stark jenseitigen Bezug. Schon regelrecht einen Todesbezug. Unsere Verbindung ist eng. Und zu den Spinnen gehören auch die Zecken und die Hausstaubmilben.

Niemals darf der Schmerz uns leiten. Unser Handeln erwächst aus dem angstlosen Wissen um unsere Geborgenheit im Sinn, um unsere Beseeltheit und um die ewige Einheit von allem. Wir handeln immer in Liebe zu allem und jedem. Es existiert keine innere Trennung. Niemals darf der Schmerz allein uns leiten.

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