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Valerie Solanas SCUM Manifesto

Nun fällt mir hier und jetzt ein anderer Text in die Hände. Es ist das SCUM Manifesto von Valerie Solanas. Was kann ich zur Autorin sagen? Bekannt wurde sie als Attentäterin auf Andy Warhol, den sie mit drei Schüssen lebensgefährlich verletzt hatte. Sie verbrachte ihre Strafe in einem Gefängnis für straffällig gewordene Geisteskranke… Sie wird heute als radikale Frauenrechtlerin bezeichnet und sie starb als Obdachlose… All das ist nicht von Bedeutung. Von Bedeutung ist ihr Manifest. Ich bin erstaunt, als ich es lese. Vieles von dem, was ich dort lese, trifft sich mit dem, was ich die letzten Jahre selbst erfahren und geschrieben habe. Über das Ego, über den Verstand. Valerie Solanes bezieht ihren Text aber auf den Mann. Auf den Mann als biologische Erscheinung. Das ist der Unterschied. Die Angst, die Wut, den Schmerz, die Einsamkeit, den Zwang zu handeln, um sich zu spüren, die Seelenlosigkeit und das Unvermögen, die Einheit zu spüren, der Zwang durch Dominanz oder Vernichtung eine krüppelhafte, materielle Einheit zu erzeugen, die eigentliche Schwäche, welche durch Macht verschleiert werden soll, die Kraftlosigkeit, all diese Eigenschaften sind für sie Eigenschaften ausschließlich der Männer. „Der Mann will tief in seinem Herzen Frau sein und weiß um seinen Mangel“, schreibt sie und noch vieles mehr, wo ich feststelle, dass wir uns treffen, wenn wir in ihrem Text Mann ersetzen durch das männliche Prinzip. Sie erkennt so viel, bleibt aber in ihrer Betrachtung bei den Menschen stehen und blickt nicht darüber hinaus. Sie erkennt nicht, dass der Mensch – egal ob Mann oder Frau – immer aus beiden Aspekten besteht. Aus dem Männlichen und aus dem Weiblichen. Sie erkennt nicht, dass die Welt nicht vom Mann, sondern vom männlichen Aspekt beherrscht wird, denn dieser ist der materielle, der handelnde Aspekt in einer materiellen Welt. So ist der Schmerz und die Wut, die sie empfindet und welche sie dazu bringen, dieses ihr Manifest zu schreiben (und auch auf Andy Warhol zu schießen), ihr eigener männlicher Anteil. Es ist der Handelnde, der Trennende (in „Sie“ und „Er“ trennende) männliche Teil in ihr als Frau. Auch hat ihr geäußerter Vorschlag, den Mann auszurotten und durch künstliche Befruchtungen nur noch Frauen zu erzeugen, einen zu tiefst männlichen Ursprung. Es ist das Konzept, das zu vernichten, was einem Angst und Schmerz bereitet. Die Suche nach Einheit durch Vernichtung des Anderen. Selbst die künstliche Befruchtung wäre ein weiblicher und männlicher Akt, selbst, wenn er nur von Frauen ausgeführt würde, alleine weil es ein Akt wäre. So bleibt ihr Blick hängen bei den biologischen, bei den materiellen Erscheinungen einer materiellen Welt, in der auch die Frau, allein dadurch, das sich einen Körper hat, das materielle, männliche Prinzip in sich hat.

Sie beschreibt die Frau als „aktiv und kreativ“ und im Gegensatz dazu den Mann als passiv. Was sie sieht ist auf der einen Seite das reine männliche Prinzip, das sich in äußerstem Schmerz und Hass befindet, so dass es nur noch Zerstörung herbeiführen kann und nennt dies „Mann“ und „passiv“ im Sinne von „nicht schöpferisch“. Auf der anderen Seite nimmt sie – ohne sich dessen bewusst zu sein – die harmonische Verbindung zwischen männlichem und weiblichem Prinzip und nennt dies „Frau“. „Aktiv und kreativ“ im Sinne von „Handeln mit göttlicher, seelischer Inspiration“. Männlich und weiblich vereint. Sie verneint aber das Vorhandensein des männlichen Aspekts in den Frauen, der im Gleichgewicht ja zu einem positiven wird, und schlägt alles der „reinen“ Weiblichkeit selbst zu.

So ist in ihren Augen der Mann das reine handelnde Prinzip, das in der Sinnlosigkeit seiner endlichen und einsamen Existenz gefangen ist, während die Frau den perfekten Zustand zwischen Handeln und Einheit darstellt. Für Valerie Solanas ist dieser Zustand der Frau allerdings der rein weibliche Zustand, also ein Zustand, der nichts Männliches beinhaltet.

Für mich stellt der von ihr beschriebene weibliche Zustand den Zustand dar, der besteht, wenn Verstand und Seele im Gleichgewicht sind, wenn männliche Tatkraft und weibliche Seelenkraft gemeinsam schöpferisch werden. Valerie Solanas Fehlschluss liegt darin, dem Mann alle weiblichen – seelischen – Attribute abzusprechen und ihn zu einem schmerzerfüllten Halbwesen zu machen, während sie alle männlichen Attribute der Frau, die diese zwangsläufig hat, zu positiv weiblichen umdefiniert und der Frau das Vorhandensein männlicher Attribute abspricht. Es wird das sein, was sie ihr Leben lang erlebt hat. Sie wird die Männer, die in einer materiellen Welt zur Verleugnung ihrer seelischen Seite gedrillt worden sind, als rein destruktive Wesen kennengelernt haben und so zu ihren Schlüssen gekommen sein.

Dieses Manifest zu lesen, lohnt sich. Es ist geschrieben worden von einer Frau, die die inneren Zusammenhänge erspüren konnte und die grundlegende Erkenntnisse in ihren Worten zum Ausdruck bringt. Es ist ihre tiefste Lebenserfahrung, die sie zum Ausdruck bringt. Die Erkenntnisse ihres Lebens, die durch die Ausübung des männlichen Prinzips ihr gegenüber durch Männer geprägt war. Machthungrige und gewissen- und gefühllose Frauen spielen keine Rolle oder wurden in ihren Ausführungen nicht berücksichtigt.

Die körperliche Vergewaltigung, der einseitige, männliche, handelnde Akt, der in ihrem Text als ein Hauptbeweis für die Art und das Wesen des Mannes herangezogen wird, ist nur eine äußere Erscheinung, an der eine Schuld des Mannes – eben durch den körperlichen Akt materiell sichtbar, in Aktion sozusagen – bewiesen werden soll. Es ist die Reduzierung auf den Penis, der nichts als eine biologische, für den Einzelnen unbeeinflussbare Tatsache ist, denn seine körperlichen Eigenschaften kann sich niemand aussuchen. So ist die körperliche Vergewaltigung mit einem Penis, die Machtausübung über jemanden, alleine aufgrund einer nicht beeinflussbaren körperlichen Ausstattung, natürlich ein Bereich ausschließlich des Mannes, weil die Frau über kein solches Organ verfügt. Doch gibt es auch Männer, die trotz Penis nicht vergewaltigen und es gibt Männer, die trotz Penis auf weibliche, nicht körperliche Weise vergewaltigen – Macht ausüben und Ohnmacht, Angst und Schmerz erzeugen. Und so ist es auch bei den Frauen. Sie können auf weibliche Art vergewaltigen und sie können – auch in Abwesenheit eines Penisses – auf männliche Art vergewaltigen. Oder sie vergewaltigen nicht. Alles hängt ab vom Verhältnis unserer Seele und unseres Verstandes in unserem Bewusstsein. Vergewaltigung ist keine Domäne des Mannes an sich, nur weil er über einen Penis verfügt und die Vergewaltigung als solche in Form von Machtausübung von Männern über Frauen am einfachsten sichtbar ist. Vergewaltigung ist das materielle Prinzip, geboren aus Angst, Schmerz und Einsamkeit. Ein Akt der Macht und somit der Schwäche. Sowohl Männer als auch Frauen verfügen über dieses materielle Prinzip. Beide sind potentielle Vergewaltiger. Beide sind potentielle schmerzerfüllte, rasende Einsame.

Was Valerie Solanas geschrieben hat ist wahr. Sie schreibt auch über das Geldsystem und die Regierungen. Es ist in meinen Augen wahr, wenn der Leser bei der Lektüre das Wort Mann durch den Begriff Verstand ersetzt. Denn dieser Verstand – nicht im Sinne von „Intelligenz“, sondern im Sinne von dem einsamen, schmerzerfüllten und aktiven Prinzip – besitzt sowohl der Mann als auch die Frau in unterschiedlichen Verhältnissen. So ist auch die von Valerie Solanas vorgeschlagene Vernichtung des Mannes nicht die Lösung, denn es gibt in den Frauen genug Yang, um genauso weiter zu machen, wie die Männer es vor ihnen getan haben. Und das materielle Yang wird sich immer in einer materiellen Welt durchsetzen und weiterhin Angst, Isolation und Schmerz erfahren und erzeugen. Die Vernichtung des ganzen männlichen Prinzips schließt sich ebenso aus, denn dies würde die Vernichtung aller Materie bedeuten und nur noch die seelische Yin-Energie übriglassen. Ich weiß es nicht, aber ich spüre, dass dies nicht möglich wäre.

Valerie Solanas propagiert das freie Individuum, von dem sie sagt, dass es nur in der Frau vorhanden sei, die sich in Freundschaft mit einer Geschlechtsgenossin gleicher Veranlagung befinde und die nach Gerechtigkeit und Liebe strebe. Sie meint damit also nicht das einsame, „individualisierte“ und abgetrennte Individuum, sondern sieht im Individuum ein Wesen, das befreit ist von den äußeren – männlichen – Zwängen einer auf Materialismus gegründeten Gesellschaft. Also Individuum im Gegensatz zum Mitglied des männlichen Kollektivs. Findet sie in dem von ihr propagierten Individuum das Ideal, so sieht sie das Ideal im schöpferischen Wesen, das sich im inneren Gleichgewicht der Kräfte befindet und ganz und vollständig ist. In der Befreiung von der Übermacht der materiellen Gesellschaft – und letztendlich auch dem gesamten materiellen Prinzips der Schöpfung – glaubt sie durch dieses Individuum im Gleichgewicht eine Gesellschaft im Gleichgewicht zu ermöglichen. Sind alle im Gleichgewicht, dann ist die Gesellschaft im Gleichgewicht. Sie entwirft also ein Gesellschafts- oder auch Welt-Bewusstsein, das sich im Gleichgewicht der materiellen und seelischen Kräfte befindet. Das menschliche Gesellschaftsbewusstsein, in welchem Einheit – (Liebe), Gerechtigkeit und Gleichberechtigung herrschen. Es ist nur so, dass Valerie Solanas nicht im Gleichgewicht sagt und meint, sondern einseitig trennend bleibt und stattdessen weiblich meint und sagt, wenn sie von den Eigenschaften ihrer idealen Individuen und der Gesellschaft schreibt. Der Mann fällt aus ihrem Konzept, da er ihrer Definition nach rein männlich und nichts weiter ist, vollständig heraus. Er wird weg gezüchtet. Zudem spricht sie jedem, der sich im bestehenden materiellen System einfindet, die Möglichkeit zur Erreichung dieses individuellen (unabhängig weiblichen) Zustandes ab: Der Frau, wenn sie sich anpasst und dem Mann prinzipiell.

Wir müssen gemeinsam nach Ausgleich in jedem von uns streben, damit unser Verstand nicht mehr so einsam und voller schmerzhafter Angst ist. Damit unser Bewusstsein den seelischen Sinn vernimmt und gemeinsam mit dem Verstand schöpferisch und wirklich sinnvoll handeln kann. Der Wunsch nach Vergasung oder der genetischen Tilgung einer unserer beiden Polaritäten spielt nur dem Verstand, dem männlichen Prinzip – in uns ALLEN! – mit all seiner Zerstörungskraft in die Hände.

Valerie Solanas wurde in den 60er Jahren für geisteskrank erklärt und ihr Manifest wurde als Satire oder Parodie bezeichnet. So kommen wir an den Anfang meines Buches zurück und sehen hier erschüttert und voller Traurigkeit, wie der Verstand in der männlich materiell dominierten Gesellschaft seine Waffen einsetzt, um das Seelische, durch Diffamierung und Lächerlichmachung, durch Ehrabschneidung und vieles mehr zu diskreditieren und zu vernichten. Mobbing. Gerne würde ich Frau Solanas in den Arm nehmen, sie halten und mit ihr weinen über diese so grausame und so schmerzvolle materielle Welt, die sie auf neunzehn DIN A4 Seiten vor uns ausgebreitet hat.

Gerne würde ich ihr sagen, dass auch der Mann den Sinn erkennen kann, denn er ist auch zu einem Teil weiblich. Und wenn man ihn lässt, dann darf diese Seite sich auch bei ihm entwickeln. Es ist nicht so, dass er vergeblich danach streben muss, Frau zu sein. Er trägt dies alles in sich, genauso, wie die Frau den Mann in sich trägt und ihn nicht verleugnen kann. Wir sind Bewusstsein. Und das Bewusstsein trägt immer beides in sich. Vereinen wir uns, dann schaffen wir ein neues Bewusstsein, das wiederum beides beinhaltet. Wir müssen die materielle Gesellschaft verändern. Sie in die Mitte bringen. Die Welt lässt nicht zu, dass wir uns trennen. Das ist unser Schicksal und keine Erfindung der Männer um Kontrolle auszuüben, auch wenn es sich vielleicht dahin entwickelt hat. Das Männliche beschützt außen das innen liegende Weibliche. Das ist das Prinzip. Sowohl im Mann als auch in der Frau. Würden die Frauen alle Männer ausrotten, sie müssten danach, um nicht zu Männern zu werden, die ganze Welt ausrotten. Denn nur dann gäbe es in der Einseitigkeit die von Valerie Solanas angestrebte Gerechtigkeit, die nur zwei unabhängige Frauen verwirklichen können. Letzten Endes darf es dann nur noch diese beiden Frauen geben und es darf nichts anderes mehr um sie herum existieren, das sich an diesem Ideal reiben könnte. Alleine der Zwang, atmen und essen zu müssen, stellt schon eine für das Individuum unerträgliche Einschränkung dar. Einen materiellen Zwang. Einen männlichen Zwang. Also gibt es Valerie Solanas‘ Ideal nur im Tode, wenn die Seele vom Körper getrennt ist. Solange wir noch auf der Erde weilen, muss das Männliche und das Weibliche vereint bleiben. Das ist unsere Aufgabe: Die Einheit erreichen. Das universelle Bewusstsein im Gleichgewicht der Kräfte.

Niemals darf der Schmerz uns leiten. Unser Handeln erwächst aus dem angstlosen Wissen um unsere Geborgenheit im Sinn, um unsere Beseeltheit und um die ewige Einheit von allem. Wir handeln immer in Liebe zu allem und jedem. Es existiert keine innere Trennung. Niemals darf der Schmerz allein uns leiten.

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