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Selbstvergessen

„Ich konnte mit dem Wort gar nichts anfangen. Das sagt mir überhaupt nichts. ‚Selbstvergessen‚.“

Ich bin verdutzt. Damit hatte ich beim besten Willen nicht gerechnet. Zehn Minuten zuvor hatte ich einer Gruppe von Menschen die Fotokopien einer kleinen vielleicht 15-zeiligen allegorischen Geschichte ausgehändigt, in derem kurzen Verlauf, das personifizierte „Selbstvergessen“ die Auflösung brachte. Ich hatte gebeten, doch zu erzählen, was sie von dieser kleinen Geschichte hielten, was sie ihnen spontan sagen würde.

Dass Jemand mit dem Wort „Selbstvergessen“ absolut nichts anfangen konnte, so als wäre es aus einer anderen Sprachen, damit hatte ich nicht gerechnet. Und so stehe ich in dieser Sekunde genau vor der selben Frage: „Was zum Himmel, bedeutet ‚Selbstvergessen‘ eigentlich? In Worten ausgedrückt.“ Dieser Moment scheint eine Ewigkeit anzudauern. Es sind aber wohl nur drei oder vier Sekunden gewesen. Schweigsame Sekunden, in denen ich, innerlich hilflos und äußerlich nachdenklich, nach einer Erwiderung suche. Glücklicherweise erlöst die Teilnehmerin mich mit einem eigenen Erklärungsversuch. „Für mich klingt das nach… nach… Kontrollverlust!“

Und ich bin ein weiteres Mal verdutzt. Genau das ist es! Kontrollverlust! Wie konnte ich das bisher übersehen! Für mich war der Begriff des „Selbstvergessens“ immer so klar! Es war Loslösung von Ich, Befreiung vom Ballast der irdischen Existenz, Eintauchen in die Bereiche der Zeit- und Raumlosigkeit, Seelenkraft schöpfen. Das Ding hinter dem Ding erkennen. Klar sein. Wirklich bewusst sein. Wahrheit erfahren. Zuhause sein…Freunde treffen, Familie treffen…

Sie dagegen: Das Selbst vergessen. Das Ich vergessen. Wer es von der Warte des Ich aus betrachtet, kann nur zu diesem Schluss kommen: Ich verliere die Kontrolle über mich (mein Ich – meinen Verstand)!

Die Teilnehmerin war eine dieser bemerkenswerten Menschen, die durch ihr Lebensumfeld und ihre Erziehung eine hochgradig rationale Nüchternheit erhalten haben. Eine Nüchternheit, die so tief verankert worden ist, dass „Selbstvergessen“ ausschließlich zu „Kontrollverlust“ umdefiniert werden konnte, um diesem fremden Wort überhaupt eine annähernde, begreifbare Bedeutung geben zu können. Bemerkenswert war sie nicht deshalb. Bemerkenswert war sie aufgrund der trotzdem unverschütteten seelischen Tiefe, die in vielem, das sie sagte, ihren Ausdruck fand – Sie sagte es dann genau so beiläufig und belanglos wie unsere Irma. Und genau so wenig wie unserer Irma war es ihr bewusst. Sie war immer überzeugt, sie könne das nicht.

Aber gerade das war das Geheimnis. In dieser Beziehung befand sie sich in einem stetigen Selbstvergessen. Und ich ließ sie darin. Denn es war gut so. Warum sie grundlos mit diesem Wissen konfrontieren? Selbstvergessen ist gut. Gar nicht zu wissen, dass man sich selbst vergessen hat, ist fast schon etwas Heiliges.

Niemals darf der Schmerz uns leiten. Unser Handeln erwächst aus dem angstlosen Wissen um unsere Geborgenheit im Sinn, um unsere Beseeltheit und um die ewige Einheit von allem. Wir handeln immer in Liebe zu allem und jedem. Es existiert keine innere Trennung. Niemals darf der Schmerz allein uns leiten.

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