Das Vorhandensein von Selbstheilungskräften ist sicherlich unbestritten. Wir scheinen – zumindest prinzipiell – in der Lage, alle möglichen unserer seelischen Belange und körperlichen Erkrankungen zu heilen – Wenn es auf unserem Wege so vorgesehen ist. (Ich ergänze diese Einschränkung in Hinblick auf eine Gesprächsrunde, der ich vor längerer Zeit beigewohnt habe, in welcher ein Mann geladen war, der durch rege geistig-seelische Tätigkeit von einer Querschnittlähmung genesen ist. In dieser Runde befand sich ebenfalls eine Frau mit einer schweren Krebserkrankung, deren „Prognose“ nicht positiv war. Als der geheilte Mann in den Raum warf (gar nicht einmal in Hinblick auf die anwesende kranke Frau), dass jeder zu einer solchen Heilung in der Lage sei, empfand ich dies als eine prinzipiell wahre und auch bescheidene Aussage, mit der der Mann sich nicht zu einem besonderen Wundervollbringer machen, sondern an die seelischen Kräfte, die in uns allen stecken, appellieren wollte. So erschrocken war ich zuerst über die Reaktion der krebskranken Frau. Sie warf ihm wütend genau das Gegenteil vor. Dass er sich wichtig mache. Dass er alle, die sich nicht selbst heilen könnten mit seiner Aussage als unfähig darstelle und sogar ihnen selbst die Schuld daran zuweise, dass sie an ihren Krankheiten litten und nicht gesund durch das Leben spazierten!
Da erst war ich in der Lage, den Blickwinkel zu wechseln. Von einer schön distanzierten akademisch-theoretischen gedanklichen Erörterung über die potentiellen Kräfte, die in uns allen schlummern, hin zu dem grauenvollen Leidensweg dieser Frau, die in ihrem Kampf und ihrer Verzweiflung vom Zeitpunkt des Schocks der Diagnose bis zu dem besagten Tag in der Gesprächsrunde, an dem medizinisch bereits alles ausgereizt war, in den Worten des Mannes nur noch eines erkennen konnte: SCHULD. Die Frage, die sich ihr über Jahre und Jahre immer wieder stellte: „Warum ich? Was habe ich getan, dass mir so etwas zustößt? Worin liegt meine Schuld?“ Und nun war sie nicht nur an ihrer Erkrankung selbst auf nicht erkennbare Art und Weise Schuld; jetzt war sie auch noch durch ihre spirituelle Unfähigkeit Schuld daran, dass keine Genesung eingetreten ist!
Es wäre besser gewesen, wenn der Mann ergänzt hätte: Wenn es auf dem Wege des Menschen vorgesehen ist. Niemand hat Schuld, wenn seine Heilung ausbleibt. Niemand kann sie erzwingen.
Deshalb habe ich den Anfang des Kapitel auf diese Art eingeschränkt.)
Da die Selbstheilungskräfte nun allgemein anerkannt sind, so ist die Anerkennung des Heilers gar nicht mehr so weit entfernt. Der Heiler, der die Einheit erkannt hat, der weiß, dass es keine Trennung gibt und dass die Vorstellung des Getrenntseins nur Schein ist, betreibt nichts anderes als Selbstheilung. Wenn es nur das Eine gibt, wie soll er da etwas anderes heilen, als das Eine Selbst? – Wenn es auf dem Wege des Menschen vorgesehen ist. Und das Selbst zu heilen ist allgemein anerkannt.