.

Auf die Knie gehen

Wir knien ja eigentlich eher selten. Vielleicht, wenn wir herausfinden wollen, woher der Ölfleck auf unserer Einfahrt kommt. Dann knien wir uns einmal neben unser Auto. Oder wenn uns ein Euro unter den Küchenschrank gerollt ist. Dann knien wir uns auch einmal hin und forschen der Münze hinterher. Der Bezug ist in der Regel eher weltlich materiell und hat mit der Eigenschaft des Kniens als Demutshaltung nichts mehr gemein. Im Gegenteil: Wenn wir gezwungen sind uns hinzuknien, dann sind wir eher genervt und ungehalten, dass die Umstände uns in eine solch unbequeme Lage zwingen.

Das Knien aus einer Haltung der Demut oder als ein Zeichen der freiwilligen Bereitschaft sich ein- oder gar unterzuordnen – eine kleine Rolle in einer großen Gemeinschaft einzunehmen – ist uns fremd. Wir sind individualisiert, demokratisch, gleich berechtigt, aufgeklärt – – – und so allein und auf uns selbst gestellt; so ohne Führung und Halt; so ratlos und verschämt auf der Suche nach Richtung und Leitung und Gemeinschaft und Sinn in einer kalten Welt der individualisierten Einzelkämpfer, die aus tiefer innerer Angst lieber alleine bleiben und nicht zu fragen wagen – – – aber auf die Knie gehen: Soweit kommt es noch! Da bin ich gesellschaftlich doch wirklich am Ende! Wie soll ich mich da im Karriere- und Konsumwettbewerb durchsetzen???

Gelegentlich gehe ich auf die Knie. In der Natur. Wo niemand ist. Vielleicht ist auch eine gewisse Scham dabei. Wie sieht das aus, wenn jemand zufällig vorbeikommt und ich knie da unvermittelt mitten in der Gegend herum? Vielleicht sind aber auch nur die Orte richtig, an denen man sich alleine und nur mit der Natur als Zeugen befindet. Wahrscheinlich ist es Beides.

Das erste Mal kniete ich hinter unserem Haus. Am Waldrand auf einem Sandweg. Ich war mit unserem Hund noch einmal vor die Tür gegangen. Es war ein Sommerabend. Die Luft war still und lau. Die Sonne stand mild und tief und ließ die Bäume lange Schatten werfen. Ein Moment, in dem alles in der Mitte war. Licht und Schatten, warm und kühl, Tag und Nacht – Himmel und Erde. Ich bückte mich, um einen Stein aufzuheben und dann kniete ich auf einmal, um noch ein wenig weiter im trockenen Sand zu scharren und zu schauen, ob dort noch andere Schätze vergraben lägen. Ich richtete meinen Oberkörper auf und es kostete mich kurz den Atem, als ich völlig unvorbereitet spürte, welche unbeschreibliche Wirkung diese körperliche Geste des Kniens auf der nackten Erde in mir auslöste. Es war eine Aufgabe meiner Selbst. Die bewusste Hingabe an alles Beseelte – an alle Brüder und Schwestern – in einem einzigen sichtbaren heiligen Akt! Es tat so gut, nicht aufrecht stehen zu müssen, nicht kerzengerade (Kind, steh gerade! Lass die Schultern nicht so hängen!) meinen Mann stehen zu müssen. Auf die Knie zu gehen im weichen Sand. In Demut zu sagen: „Euer Wille geschehe!“ und „Ich bin behütet!“ Nicht individualisiert und demokratisch und gleichberechtigt – und allein – zu sein. Sondern eingeordnet in der Einheit der Dinge. Im Ratschluss des Schicksals. Behütet von den Kräften des Jenseitigen und noch darüber hinaus.

Voltaire sagte sarkastisch über Rousseaus Schriften von der Rückkehr zur Natur, dass man beim Lesen ja fast wieder Lust bekäme, auf allen Vieren zu gehen. – Ich denke, es tut gut, nicht soweit oben zu thronen. Beobachtet man vierbeinige Wesen in ihrer Anmut und Schönheit, dann kann einem schon der Gedanke kommen, dass dies die angemessenere Haltung (körperlich als auch seelisch) sein könnte. Mit vier Gliedmaßen am Boden. Die Sinne ganz nah an der Erde. Und nicht wackelig und taumelnd mit dem großen Kopf schlackernd in luftigen Höhen. Die meisten Naturvölker sind ja auch eher kleine Knirpse.

So ist dieses Knien auch in Verbindung mit den Händen auf der Erde eine Haltung, die Eigenartiges auslösen kann. Ich musste damals schlagartig an eine Situation in meiner Jugend denken, in der ich – eher unfreiwillig – auch in die Knie gegangen bin. Ebenfalls in Verbindung mit stockendem Atem: Als ich mit 14 Jahren im Karatetraining von einem etwas ungestümen Jungen, der die angestrebte Kontrolle von Geist und Körper augenscheinlich noch nicht vollständig verinnerlicht hatte (die darin mündet, dass man seinen Trainingspartner nicht berührt), einen Faustschlag mitten auf meinen Solar-Plexus gezimmert bekam. PAAAAAHHHHHHHHHHHHH!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Die Luft rast aus der Lunge! Die Seele weicht zu viel zu großen Teilen meinem Körper! Dunkelheit! Sterne! Schmerz! Oh, Schmerz! Sterne! Oh, Dunkelheit! Nahe der Ohnmacht! — Zusammengesackt! Auf die Knie! – Der Körper in seiner Demutshaltung! Zum Teil entseelt! „Ich bin wehrlos! Ich gebe mich hin! Ich gebe mich auf.“

Die Seele verlässt den Körper im Falle eines großen Schmerzes in Teilen. Der Körper sackt zusammen. Er geht zurück zur Erde. Herunter von seinem viel zu hohen Thron. So erkannte ich – in dem Moment, als ich Jahrzehnte später freiwillig hinter meinem Haus kniete -, dass es auch andersherum so ist: Sacke ich zusammen, knie ich, dann öffnet sich mein Seelensinn und ich nehme die Welt mit diesem wahr. Es ist ein körperlicher Mechanismus, der sich auf der Ebene der Seele auswirkt. Nicht umsonst wird wohl deshalb in den meisten Religionen mehr oder weniger häufig gekniet. Es ist nicht nur ein überkommenes Unterordnungsritual unter einen herrischen und vielleicht launischen Gott. Es ist eine Haltung, die unsere Seele fliegen lässt. Die uns dem Göttlichen näher kommen lässt.

Niemals darf der Schmerz uns leiten. Unser Handeln erwächst aus dem angstlosen Wissen um unsere Geborgenheit im Sinn, um unsere Beseeltheit und um die ewige Einheit von allem. Wir handeln immer in Liebe zu allem und jedem. Es existiert keine innere Trennung. Niemals darf der Schmerz allein uns leiten.

Der Inhalt dieser Webseite darf zu nicht kommerziellen Zwecken unter Angabe der Webadresse im Zusammenhang frei verwendet werden. Kontakt könnt Ihr gerne über info@omkarnath.de mit mir aufnehmen.

Cookie Consent mit Real Cookie Banner