Und so reihen sich die Geschichten aneinander, in denen ich demütig von den einfachen und so klaren Menschen lernen durfte, ohne dass diese wussten, dass sie meine Lehrmeister waren. Und so oft schämte ich mich innerlich meiner Unvollkommenheit und hoffte heimlich und unausgesprochen, dass mir doch ihre Geheimnisse zu teil werden könnten. Gerade fällt mir Thomas ein. Ein Privatier, der irgendwann sein Geschäft samt Gebäude verkauft hat und nun seit „etlichen Jahren“ (wie er sagt) von dem Erlös in einem kleinen 45qm-Häuschen in der Nachbarschaft lebt. Bescheiden und genügsam, sich immer bewusst, dass das Ersparte eines Tages aufgebraucht sein wird und dann „das Schlimmste auf der Welt“ wieder auf ihn wartet: „Arbeit!“. Ein Mensch, in vielerlei Hinsicht mittig zentriert ohne sich dessen bewusst zu sein, mit einem jährlichen Strombedarf in seinem Haus, den wir alleine für unseren Kühl- und Gefrierschrank haben. Wenn man ihn betroffen fragt, wie er das denn zustande bekäme, dann sagt er ein wenig verlegen, weil er es selbst nicht so genau weiß: „Ooooch, ich hab da ja nicht so das Internet und den Computer an. Und Sparbirnen. Bin ja auch viel mit dem Fahrrad unterwegs, ne. Weiß nich. Brauch nich soviel…!“
Und wenn er dann von seinem Nachbarn erzählt, dessen Gartengeräte unbedingt laut sein und stinken müssen und der andauernd sein Altpapier im Garten verbrennt und der ganze Gestank dann bei Thomas ins Schlafzimmer zieht, wenn er mal nicht da ist und dummerweise das Fenster offen gelassen hat; und der mit seiner Frau so neugierig am Gartenzaun steht, dass Thomas einen Sichtschutz auf der Terrasse aufbauen musste, um in Ruhe mit seinem Besuch dort sitzen zu können; und der Thomas, wenn der private Briefbote dessen Kontoausszüge falsch eingeworfen hat, den Umschlag mit den Auszügen erst Tage später geöffnet und nach Zigarrettenrauch riechend überreicht,… dann werde ich immer ganz schweigsam…
Und wenn er mir dies dann mit Gleichmut erzählt oder sogar eher als eine recht amüsante Begebenheit und sagt: „Na das sind halt alte Leute. Da änderst Du nix mehr.“ Dann weiß ich, dass ich bei solchen Vorkommnissen vor innerer Unruhe nächtelang nicht schlafen könnte und morgens schon zornig auf das Nachbargrundstück starren würde mit dem Gedanken umzuziehen oder Schlimmerem. Dann ahne ich, dass mein Weg noch weit und beschwerlich sein könnte und beneide den, der nicht weiß und doch im Fluss so geborgen ist und ein so unverwundbares Ich besitzt. Dann bin ich immer ganz schweigsam und versuche sein Geheimnis zu ergründen…