.

Mind and heart

Vor einigen Jahren meinte ich, neue Winterstiefel zu benötigen. Die alten schienen mir abgelatscht, sie waren nicht mehr wasserdicht und überhaupt: Es schien einfach mal an der Zeit für ein neues Paar zu sein.

Geschlagene sechs Wochen habe ich mich daraufhin im Internet mit Winterstiefeln beschäftigt! Sechs Wochen! Irgendwie war etwas in mir der Meinung, es müsse nun etwas Vernünftiges sein. Von einem renommierten Hersteller, der Qualität produzierte. Haltbar, aber nicht zu teuer. Wasserdicht, mit guter Sohle und natürlich gefüttert. Ich war im Wahn. Meine Frau fragte: „Woran denkst Du denn gerade?“ – „Winterstiefel!“ – „Du meine Güte!“ Immer nur Winterstiefel. Alle Onlinekaufhäuser wurden besucht. Unzählige Modelle, ob neu oder gebraucht, im Internet gesichtet, beobachtet, markiert und wieder verworfen. SECHS Wochen lang!

Bis ich sie endlich gefunden hatte! Die Richtigen! Gebraucht. Zwei Mal getragen (aber wie neu!), halbhoch, gefüttert, wasserdicht für ein Drittel des Neupreises! Der Wahn hatte ein Ende. Etwas in mir war endlich zufrieden.

Ich erzähle diese Begebenheit ganz gerne gelegentlich einmal. Aus zwei Gründen. Der eine ist, dass einige Menschen, die sich in einer Veranstaltung von mir einfinden, danach sichtlich aufatmen – und lachen. Ich habe bei ihnen durch diese Geschichte eine mit Vorurteilen beladene Schublade geleert. Zusammengefasst ist oft in diesen Schubladen in etwa Folgendes: „Jetzt bin ich bei diesem Mann um etwas Spirituelles zu lernen. Der weiß bestimmt so viel mehr als ich. Ich sage besser nichts. Es könnte nur dumm sein. Wahrscheinlich ist er Vegetarier und schaut eigentlich auf uns kleinen schwachen, weltlichen Sünder herab. Wer weiß was der in meiner Aura wahrnimmt. Der sieht bestimmt alle meine Themen. Und der kriegt das alles hin. Und ICH nicht. Und der war bestimmt schon mal ein Jahr in Kathmandu und hat als Asket gelebt.“ Ich übertreibe nicht. So oder so ähnlich wird mir wirklich gelegentlich begegnet, wenn ich mich entschließe zu spirituellen Themen vor die Menschen zu treten. Ich mag das nicht. Manchmal mache ich auch zu aller erst einen saublöden Witz, der alles andere nur nicht heilig wirkt. Man sieht dann förmlich, wie manchen Menschen die Kinnlade herunter sinkt und sie erst einen Neustart machen, weil die schönen Schubladen, die sie von so weit her mit geschleppt haben, einfach nicht das Passende mehr enthalten. Es ist etwas NEUES! Nach diesem Kehr-Aus können wir uns dann prächtig unterhalten. Von Gleichem zu Gleichem. Auch wenn manche erst ein wenig verschnupft sind und mich anfangs etwas misstrauisch beobachten. Die Schublade passt halt nicht. Da war ein fast heiliger Offenbarer drin. Und nicht ein Typ fast wie von nebenan, der nicht als Asket in Kathmandu gewesen ist. Mindestens ein Jahr.

Die Geschichte geht ja noch ein wenig weiter und damit komme ich zum zweiten Grund, warum ich sie manchmal erzähle. Ich habe mich die ganzen sechs Wochen innerlich geärgert, dass ich von diesen elenden Winterstiefeln nicht losgekommen bin. Nicht schlimm geärgert, sondern eher ein wenig amüsiert, aber auch ein wenig hilflos. Und ich habe die Situation interessiert von Außen betrachtet. Seit wirklich langer Zeit hatte etwas so Äußerliches und Dingliches mich nicht mehr in seinen Bann gezogen. Diese Stiefel waren offensichtlich reiner Selbstzweck. Ich hätte auch direkt einen Spaziergang zum nächsten Landhandel machen können. Dort hätte ich mich informiert, welcher Schuh denn von der Landwirtschaft aktuell als wasserdicht, haltbar und bequem angesehen wird. Die müssen das ja wissen. Ich hätte den Empfohlenen dann gekauft und basta! Er wäre nicht so schön gewesen, wie meine Errungenschaft aus dem Internet. Er wäre wohl ein halber Gummistiefel gewesen. Aber er hätte seine Funktion erfüllt. Nur war das allem Anschein nach in diesem Moment nicht möglich.

Bei mir steht der Selbstzweck seit langer Zeit hinten an. Er hat im Allgemeinen keine Bedeutung mehr für mich. Er gehört in den Bereich des Äußeren Zierrates, mit dem sich unser Verstand gut fühlen will. Es ist äußerer Schmuck oder die äußere Befriedigung der Sinne mit äußerlichen Dingen. Selbstzweck beinhaltet Eitelkeit und eine Abgrenzung des Ichs dem Rest der Welt gegenüber. Ich weiß durchaus wovon ich spreche: dem zweisitzigen Cabrio, den ich früher in einem anderen Leben fuhr, kann nicht einmal der gewiefteste Rhetoriker eine praktische Komponente abgewinnen. Es war reiner hedonistischer Selbstzweck. „Dach auf. Wind um die Ohren. Endlich Feierabend!“ Bei meinem Motorrad sah es genauso aus. Schön und schnell.

Das ist der zweite Grund, warum ich diese Geschichte gerne erzähle: Es ist nicht verboten, wenn man sich als Mensch, der nach seelischer Erkenntnis strebt, auch einmal seinen Wünschen und Bedürfnissen im Äußeren hingibt. Es ist unsinnig, aber es ist nicht schlimm! Ich habe mich geärgert, aber ich konnte es kaum erwarten, dass diese Schuhe endlich mit der Post bei mir zu Hause ankamen! Es war unsinnig, aber es war in diesem Moment einfach so.

Nur, wenn man sich des Unsinns nicht mehr bewusst ist, dann kann es schädlich sein. Wenn die Farbe der Wand zu Streitereien führt. Wenn der gelbe Neid einen auffrisst, weil der Nachbar das größere Auto oder die vermeintlich schöneren Urlaube hat.

Bin ich mir dessen bewusst, dann kann ich sagen: „Welch ein äußerlicher Tand. Wie ich mich aufrege. Schlimm, schlimm. Wegen solcher Dinge, die nicht an meinem Inneren rühren können. Ob die Wand blau oder rot, ob Nachbars Wagen groß oder klein ist. Was soll es denn mein Inneres scheren? Aber ich ärgere mich jetzt trotzdem. Und lasse es auch wieder bleiben.“ oder ich kann genießen und sagen: „Welch ein schöner Unsinn! Ist es nicht schön, dass ich das eine der Welt kenne und aber auch das andere!

Niemals darf der Schmerz uns leiten. Unser Handeln erwächst aus dem angstlosen Wissen um unsere Geborgenheit im Sinn, um unsere Beseeltheit und um die ewige Einheit von allem. Wir handeln immer in Liebe zu allem und jedem. Es existiert keine innere Trennung. Niemals darf der Schmerz allein uns leiten.

Der Inhalt dieser Webseite darf zu nicht kommerziellen Zwecken unter Angabe der Webadresse im Zusammenhang frei verwendet werden. Kontakt könnt Ihr gerne über info@omkarnath.de mit mir aufnehmen.

Cookie Consent mit Real Cookie Banner