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Künstliches Trennen und andere Verdrehungen ehemals natürlicher Handlungsweisen

Noch bis vor gar nicht so langer Zeit wurde das Wissen (und dessen Träger) in seiner Bedeutung erhöht, indem es versteckt wurde. Man kann sogar sagen, dass das Wissen erst durch das Verstecken seine Bedeutung erhalten hat. Das eine Buch, in dem bestimmtes Wissen geschrieben stand, wurde nur wenigen zugänglich gemacht. Wer gar nicht erst lesen konnte, der stand sowieso in sprachloser Ehrfurcht vor diesen ihm niemals begreifbaren Zeichen genannt Buchstaben. Der Mann, der sein Wissen in fernen Ländern (oder im übernächsten Weiler) erlangte, besaß etwas, was nur sein eigener Schatz war. Er hütete ihn eifersüchtig. Und alle anderen in seinem Dorfe waren auf ihn angewiesen. Die Bibliotheken mit ihren Schriften in Latein und Griechisch. Die Universitäten. Nur wenigen zugänglich. Die Ingenieure, Juristen und Doktoren. In ihrer Geheimsprache, die nur der Eingeweihte versteht… Immer wurde die Bedeutung des Wissens an seinem Grad an Unzugänglichkeit, an dem Grad des Unwissens der Anderen gemessen. Die Bedeutung lag in der Trennung in wenige Wissende und viele Unwissende. Wurde etwas allgemein bekannt, so dass jeder es wusste, dann wurde gelangweilt mit den Schultern gezuckt, wenn jemand es anpreisen wollte, dann wurde gelacht, wenn einer versuchte, sich mit dieser Profanität wichtig zu machen. Eigenartig nicht wahr? Ist das Wissen ein guter Schüler des Verstandes und trennt es viele vom wenigen, dann ist es sein gutes Kind. Gibt das Wissen sich preis und wird eins mit jedem: Dann lacht der Verstand es ob seiner Banalität aus. „Du meine Güte! Das weiß doch jeder!“

Was jeder weiß, das trennt nicht genug. Also muss die Trennung aufrecht erhalten werden, um dem Wissen (und seinem Träger!) seinen Wert zu erhalten. Nun kam das Internet, die Seelenprothese des Verstandes, und machte mit dem Wissen was? Es stellte es den Massen zur Verfügung. Wer denkt, etwas zu wissen, muss nun vorsichtig sein. Sein Gegenüber könnte mal eben sein Internet-Telefon zücken und den vermeintlich Wissenden seines „Halbwissens“ überführen oder feststellen, dass sein Wissen nicht „auf dem neuesten Stand“ sei. Ärzte, Juristen, Ingenieure und auch der Party-Schlaumeier können leidvoll bestätigen, wie ärgerlich es ist, zu erkennen, wie das ganze schöne Wissen, das gestern noch zu hochachtungsvollen, scheuen Blicken der beeindruckten Unwissenden führte, nun Gegenstand der kritischen Diskussion der Massen geworden sein kann. So ist das Wissen des Verstandes nun enttarnt. Ist es nicht versteckt, so ist es Allgemeingut und verliert all seinen Glanz.

Da gibt es aber noch ein anderes Wissen. Von völlig anderer Substanz und Qualität. Es kann weder vor jemandem versteckt werden, noch kann man es vor allen ausbreiten. So kann es auch nicht gelehrt und gelernt werden. Es ist das Wissen unserer Seele. Das Wissen um die Einheit und den Sinn. Jemand kann alle heiligen Bücher dieser Welt studiert haben (ob im Original oder in der Wikipedia spielt da keine Rolle) und trotzdem erlangt er dieses Wissen nicht. Jemand kann morgens vor die Tür treten und hat den Sinn beim zufälligen Blick auf das Pflaster des Gehwegs plötzlich erfasst. Ein Wissen, völlig unbegreifbar für den Verstand. Deswegen verneint dieser dessen Existenz.

Aber wir befinden uns ja nicht nur in einer Wissensgesellschaft, sondern ebenfalls in einer materialistischen Konsumgesellschaft. Und betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt die obigen Ausführungen über das Wissen, so stellt man fest, dass es sich mit den materiellen Gütern ebenso verhält. Man möchte denken, dass die Hochschätzung der knappen Güter noch vor der Hochschätzung des (künstlich verknappten) Wissens begann.

Natürlich liebt der Verstand den Materialismus. Auch mit Gütern lässt sich wunderbar trennen. In wenige Besitzende und viele Nichtbesitzende. Das seltene Gut wird in seiner Bedeutung erhöht, so unnütz und sinnfrei sein Besitz (für das Leben) auch sein mag. Das schöne Prinzip von Angebot und Nachfrage. Ich erkläre es einmal nicht. Jeder kann es mittlerweile nachlesen und dann verstehen, was ich meine. Jeder kennt es eigentlich bereits, weil unser Leben von Morgens bis Abends nur noch in diesem Rhythmus schwingt.

Der Verstand ist so begrenzt, aber sein Wollen ist grenzenlos. Er kennt keinen Einhalt. Aus Prinzip nicht. Selbst, wenn es notwendig wäre. Einhalt ist für ihn Schwäche, „Rückschritt“. Und er ist kurzsichtig. Er kann nur erkennen, was direkt vor seiner Nase geschieht (auch in zeitlicher Hinsicht). Alles andere ist schon zu weit entfernt und verliert sich im Verschwommenen. So hat er in seiner Haltung der Übersteigerung (denn nichts anderes bedeutet es, keinen Einhalt in einer Entwicklung zu kennen) das Harmonische und Kleine, das Sinnvolle und sich im Rhythmus mit der Welt Befindliche in ein Monstrum verwandelt:

1. Der Wettbewerb der Besten um die Führerschaft der Gemeinschaft wurde zu einem mörderischen Kampf jeder gegen jeden mit allen Mitteln (vielleicht außer Mord. Jedenfalls offiziell) auf sämtlichen Ebenen der Existenz. Wissen ist eine der wirksamsten Waffen.

Nicht das Prinzip der Gemeinschaft wurde weiterentwickelt, sondern das Prinzip der Trennung und der Erhebung des einen über den anderen. Es wurde zu jeder über jeden. Die logische Konsequenz einer übersteigerten Individualisierung. Wenn wir alle alleine sind und nicht mehr Teil eines harmonischen Organismus, dann ist natürlich jeder gezwungen, für sich alleine zu kämpfen, da es niemanden geben kann, dem er die Führung vertrauensvoll überlassen könnte.

Unsere Gesellschaft gleicht dem Bild von Raubtieren unterschiedlicher Gattungen an einem Kadaver. Der Coyote muss eventuell sterben, wenn der Wolf auch fressen will. Nur sind wir nicht Coyote und Wolf, sondern Mensch und Mensch. Die Priester des Kapitalismus können sich da noch so gerne als einsame Wölfe bezeichnen. Das ist keine Auszeichnung. Es ist doppelt wider unsere Natur und noch dazu eine Schmähung für das Tier, das es mit seinen natürlichen Instinkten besser weiß. Einsame Menschen trifft es besser…

2. Die Hochschätzung der Bedeutung des Wissens eines Alten oder eines Mitgliedes der Gemeinschaft mit besonderen Erkenntnissen wurde zu einem Instrument der Machtausübung. Ein Mittel zur Selbstabhebung des einen von den anderen. Eine Waffe gegen die eigene Art.

Das Handeln der Wissenden im Sinne der Gemeinschaft wurde ersetzt durch eine Anbetung des Wissens ob seiner Macht, die es dann erhält, wenn man es nur schön von den anderen getrennt hält. Es ist zu einem Teil der Selbstidentifikation geworden. In der Wissensgesellschaft ist Wissen… na, was denn schon? Natürlich Macht!

3. Die Wertschätzung und die Notwendigkeit der Erlangung von knappen lebensnotwendigen Ressourcen wie Wasser, Nahrung, Wärme und… Liebe wurde ins unermessliche übersteigert, so dass fast alle knappen Dinge einen höheren „Wert“ haben als in großer Menge verfügbare Dinge. Ihre Bedeutung oder Bedeutungslosigkeit für das menschliche Überleben ist davon unabhängig. Auch diese Dinge sind wiederum ein Instrument der Machtausübung einzelner geworden.

Die übrigen treiben sich bis zur völligen Erschöpfung, um diese (künstlich verknappten) Dinge ebenfalls zu erlangen, als wären sie überlebensnotwendig. Die Tendenz ist logischerweise, hochverfügbare Güter, wie zum Beispiel Wasser, zu verknappen, um den „Wert“ und damit die Macht des Besitzenden zu steigern. Oder umgekehrt… So funktioniert unsere Gesellschaft über die Trennung der Menschen von Dingen und voneinander auf der Grundlage der Dinge, die sie besitzen.

Betrachten ich diese drei Pfeiler unserer Gesellschaft (Konkurrenzkampf, Wissen, das Macht ist und „Haste was, biste was.“) im Vergleich mit anderen in Gruppen, Verbänden, Rudeln – in Gemeinschaften – lebenden Wesen auf dieser unserer Erde, dann erkenne ich mit Schrecken, dass der Mensch in dieser Gesellschaft in keiner Gemeinschaft mehr lebt. Das Wort „Gemeinschaft“ ist nur noch ein dünnes fadenscheiniges Deckmäntelchen, das ihm die Illusion (je nach persönlichem Imaginationsvermögen) von Wärme und Geborgenheit vorgaukeln soll. Der Begriff der „Gemeinschaft“ ist ein Taschenspielertrick, der uns von der wahren Beschaffenheit unserer Welt ablenken soll: Von der Erkenntnis unserer völligen Einsamkeit. Von der Erkenntnis, dass wir nur ein Rädchen in der großen erbarmungslosen Maschine sind, das sich noch einen mörderischen Kampf mit den übrigen Rädchen um seinen Platz im zermalmenden Getriebe liefern muss. Zum Verschleiß für ein unmenschliches System geboren.

Die Rechtfertigung, dass dies nun einmal der natürliche Lauf der Welt sei – (Wirtschafts-)Darwinismus eben –, ist eine glatte Verdrehung der Tatsachen. Keine Art vernichtet sich selbst von Innen durch den Kampf der Mitglieder gegeneinander. Der neue Begriff, der sich in Bezug auf die Wirtschaft (von ihr selbst geprägt, weil er so schon brutal klingt) durchsetzt, trifft es eher: Es ist Kannibalismus… und dazu steht der Verstand mittlerweile. So viel Macht hat er bereits erlangt, dass er das Deckmäntelchen schon ohne Sorge (und ohne Scham) ein wenig lüften kann.

Jemand mag sagen: „Aber wir können doch einmal oder sogar zweimal im Jahr in Urlaub fahren… und wir leben seit Jahrzehnten im Frieden… und wir entwickeln doch die armen Nationen, damit sie es besser haben und sie sich uns angleichen und durch das Ungleichgewicht kein Unfrieden entsteht.“ Wir leben nicht im Frieden. Wir führen Kriege im Inneren und im Äußeren. Auf Verstandesart eben. Bewilligt und legitimiert. Ganz im Rahmen der drei Säulen: Vernichtung von Konkurrenz. Krieg um Wissensvorsprung gepaart mit Wirtschaftskriegen zur Eroberung von Märkten. Jeder gegen Jeden. Mit temporären rein opportunistischen Allianzen. Es sind Kriege gegen Staaten, Unternehmen, den Nächsten. Und wir produzieren Waffen, finanzieren klassische Kriege, beteiligen uns an „Missionen“, die aber nur von anderen „Kriege“ genannt werden. Und weiteres wahrscheinlich. Zu glauben, wir lebten in Frieden: Das ist die dünne Decke, von der ich sprach… der Taschenspielertrick – Wohin entwickeln wir die „armen“ Länder denn dann? Zu Gemeinschaften von unserem Kaliber? Zu sich selbst zerreißenden Monstren? Zu Teilen der Maschine, um den Kampf zu globalisieren. Und was dann? Was passiert dann? Ich sagte ja: Der Verstand ist kurzsichtig. Alles vor ihm ist verschwommen. – Das mit dem Urlaub allerdings, das stimmt. Das ist wirklich, wirklich schön.

Niemals darf der Schmerz uns leiten. Unser Handeln erwächst aus dem angstlosen Wissen um unsere Geborgenheit im Sinn, um unsere Beseeltheit und um die ewige Einheit von allem. Wir handeln immer in Liebe zu allem und jedem. Es existiert keine innere Trennung. Niemals darf der Schmerz allein uns leiten.

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