Ruskin beweist, dass Reichtum im derzeitigen ökonomischen Sinne, einzig und allein Macht über Menschen bedeutet. Er schrieb dies Ende des 19. Jahrhunderts, als es viele arme und nur wenige reiche Menschen gab. Das war damals auch wirklich ungerecht. Die Spannungen waren groß und das Pulverfass konnte jederzeit explodieren. Gefährlich, so viele Arme. Für die Reichen. Heute sind alle reich! Was ein Glück! Jeder hat jetzt durch sein Geld Macht über Menschen. Er entscheidet, bei wem er kauft. Er drückt den Preis. Ist stolz darauf. Er bewertet im Internet. Wie im Collosseum im alten Rom der Kaiser: Daumen runter: Der Gladiator muss sterben. Die Unternehmer schreiben kriecherische Mails an die Kunden, damit diese, gnädig gestimmt, 5 Sterne Bewertungen abgeben. Denn sonst geht es für den Händler abwärts in den Listen. Dem Kunden schmeichelts und wird’s wohlig. Wieder einmal Imperator von eigenen Gnaden. Wieder einmal mit dem Ipad in Pantoffeln im Sessel sitzen und über Gnade oder Ungnade entscheiden. Er liest die Mail und denkt bei sich „Schön die Füße geküsst. Angemessene Demut. 5 Sterne. Aber nächstes Mal nur 4. Wenn die Lieferung wieder drei Tage dauert. Ich schreib’s mal in den Kommentar. Soll’s ruhig wissen, wie großzügig ich bin. Ich hätte das Recht, auch anders zu bewerten. Aber ich bin ein guter und langmütiger Herrscher. Ach, was tut mir das gut. Dieses so gerecht und gnädig sein. Aber ich schreib’s rein. Er soll nicht denken, dass er es immer mit mir machen kann. Das soll ihm schon schön klar sein.“ Das ist seine Macht. Stolz erzählt er, wie er beim Autokauf beim Preis gefeilscht UND noch Fußmatten dabei verlangt – und auch erhalten! – hat. Dem Unternehmer und dem Autoverkäufer ist speiübel. Aber der eine schreibt weiter unterwürfige Mails und der andere lächelt weiter servil. Egal, wie unverschämt der Gott-Kaiser von Geldes Gnaden sich auch gebärden mag. Dann hat er seinen Wagen. Tonnenschwer. Obszön pechschwarz. Überall pechschwarz. Zumindest die Schnauze pechschwarz. Unendlich viele Pferdestärken hinter einem gnadenlosen tollwütigen oder grausamen Raubtiergesicht. Und dann geht der Gott-Kaiser auf die Autobahn und dann geht es los: Menschen jagen. Menschen hassen. Der Gott-Kaiser führt seine persönlichen Kriege. Er ist Richter und Vollstrecker. Er ist das Gesetz – des Stärkeren. Er handelt ja immer im Recht. So ein Gerechter ist er. Muss nur genug PS haben. Und genug Tonnen Stahl.
Dann kommt er an. Im Büro, beim Kunden, bei der Behörde. Und sein Chef kommt, spricht von mehr Leistung, und er hat Angst, unterdrückte Wut. Und der Kunde ruft an und er spricht unterwürfig, um den Auftrag zu erhalten. Und er muss zum Amt. Und er sitzt vor dem Beamten, dem kleinen Gott-Kaiser seines Entscheidungsbereichs, der – mutwillig, aber immer im Recht! – nicht begreifen möchte, was man von ihm braucht. Und ihm ist speiübel. So gedrückt wird er, so muss er seinen Hass bezwingen. Und dann kauft er wieder etwas! Und dann geht es besser. Dann ist er wieder das Recht. Daumen hoch, Daumen runter. Urteilen. Ungnädig sein. Strafen oder begnadigen. Wie die Kaiser im Alten Rom. Damals, als in ferner, ferner Vergangenheit Menschen sich in Arenen zum Spaß der Reichen abschlachten mussten oder von wilden Bestien in Stücke gerissen wurden.
Ruskin beweist weiterhin, dass, damit jemand im herkömmlichen Sinne reich sein kann, es immer auch Arme geben muss. Gäbe es keine Armen (die er kaufen könnte), dann hätte er über niemanden Macht und aller – sogenannte – Reichtum nützte ihm nichts. Er müsste alles selbst machen und säße bei allem Besitz auf seinem kleinen Acker und würde für sein Überleben schuften, wie jeder andere auch. Es gibt also ein Interesse der Reichen daran, dass Arme existieren, denn nur dann sind sie reich.
Nun sind ja alle reich. Alle satt. Alle Imperatoren. Ist der Idealzustand erreicht? Alle reich ohne Arme?
Leider nicht. Oder glücklicherweise nicht, denn wäre dies hier der Idealzustand, dann wäre die Menschheit in der Hölle angekommen und dürfte bis zu ihrer Selbstvernichtung darin schmoren.
Wie läuft das denn hier nun mit dem Reichsein ohne Arme? Jeder ist hier der Reiche und jeder ist auch der Arme. Aber alle sind doch satt? Wo ist denn die Armut, die sie zwingt, sich zu knechten? Oder besser: Warum spielen die Menschen, wenn sie doch so reich sind, das Spiel mit und machen sich gleichzeitig zu den abhängigen Speichelleckern und/oder zu in unterdrückter Wut kochenden Ausgelieferten der anderen ach so reichen? Warum? Weil die Armut, in der sie gehalten werden, eine andere ist, als die herkömmlich betrachtete. Ihnen wird suggeriert: „Du bist satt und sicher. Das reicht und der Preis dafür ist Dein seelenloses Sein als Hochleistungskampf- und erduldungsmaschine in der gottgegebenen Leistungsgesellschaft.“ Und alle nicken und sagen „Genau!“ Und genau dieser hypnotische Konsens hält die Menschen in einer Armut, in einem Hunger, der schlimmer ist, als der Hunger des Körpers, denn der, dem der Magen knurrt, der weiß, was bei ihm los. Der Hunger der heutigen Menschen ist der Hunger nach ihrer Beseeltheit, nach ihrem Leben in innerer Größe und Sinn. Nach der Entfaltung ihres göttlichen Seins in Liebe mit der Schöpfung. Der heutige Mensch hat diesen unendlich schmerzhaften Hunger in sich, aber – wie perfide – wurde ihm das Wissen um seine Beseeltheit von Kindesbeinen an abkonditioniert, wurde es ihm zu etwas Undenkbaren, Lächerlichen stigmatisiert, so dass er, der Mensch, nun die Ursache dieses Hungers umdefinieren muss. Der teuflische Materialismus hilft ihm dabei und sagt: „Dieser Hunger wird gestillt durch mehr Dinge, mehr Macht und mehr Sinnesrausch. Sei Imperator und Gladiator Deiner Nächsten. Richte und lass Dich richten. Je mehr Reichtum Du hast, desto mehr darfst Du Deinen Nächsten richten. Je weniger, desto mehr musst Du Dich Deinem Nächsten beugen. Du kannst ihn hassen und ihm Schmerz zufügen oder Du kannst ihn hassen weil Du Schmerz von ihm erdulden musst. Je nachdem.“ Er wird also belogen und ihm wird gesagt, dass sein Hunger, der in Wirklichkeit ein Hunger nach Einheit, Geborgenheit, Liebe und Sinn ist, ein Hunger nach Macht über Menschen sei, nach Reichtum, dass er einen Hunger habe, der aus Angst entstünde und den er nur mit Macht (sprich Kontrolle – durch Kaufen von anderen) stillen könne. Der Mensch, der nichts anderes hat, was er glauben kann, tut so, wie ihm gesagt und tut und tut immer mehr, aber der Hunger bleibt. Wie praktisch für den sie alle belügenden und knechtenden Materialismus.
Und wenn einer in sich fühlt, dass da irgendetwas nicht stimmen kann, dann hat er keine Worte und kein gedankliches Konzept mehr dafür. Kann es nicht ausdrücken und stammelt sich unzusammenhängend etwas zu recht. Dann heißt es: „Was redest Du Dummkopf für unausgegorenes Zeug? Bist Du undankbar? Satt und sicher bist Du. Kannst alles kaufen. Bist doch reich im Wohlstand! Was willst Du Dummer denn noch? Denk erst mal richtig!“ Und er verstummt und lebt weiter das primitive Leben als reißendes und furchtsames Tier, das ihm hypnotisch als das einzig existierende eingebrannt worden ist. Und sucht verzweifelt den Sinn in der Sinnlosigkeit. Denn er weiß nicht, dass er das Leben als Tier lebt. Er weiß nicht, welche innere seelische Größe in ihm ist und dass ihm die Entfaltung dieser Größe zusteht. Als das Einzige, was ihm im Leben überhaupt zusteht…