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Eine Krankenhausgeschichte

Ich möchte eine kleine Geschichte erzählen. Eine Geschichte von Anfang 2019. Von vor Corona. Als es noch nicht so viele Menschen interessiert hat, wie viele Menschen denn nun so sterben täglich. Und unter welchen Umständen.

Selbst erlebt. Nicht gehört vom Schwager der Tante des Friseurs meines Nachbars Cousine ihrer Grundschulliebe. Oder so.

Nun aber die Geschichte: Eine Freundin bekam die Diagnose Krebs. Lungenkrebs. Margret. Eine wehrhafte, kleine, agile, rotgefärbte und Protest gewohnte Siebzigjährige. Mit blitzenden Augen und einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Und entsprechender, manchmal erschreckender, spontaner Tatkraft. Hat viel den örtlichen Flüchtlingen geholfen. Sie war der Schrecken der lokalen Behördenvertreter. Wir waren in tiefer Liebe mit ihr verbunden.

Ach ja, eine Krankenhausgeschichte ist es. Hatte ich vergessen zu erwähnen. Vielleicht ist es aber auch keine typische Krankenhausgeschichte. Nun, egal. In der onkologischen Praxis jedenfalls sagte man Margret, wenn sie ins Krankenhaus müsse, dann auf keinen Fall ins „Matthias“. Auf gar keinen Fall solle sie ins „Matthias“ gehen!

– Nun, alles dauert ja anscheinend seine Zeit – auch die Arbeit einer onkologischen Praxis – und Margrets Schmerzen zuhause nahmen zu. Bis es unerträglich wurde. Ihr Mann rief abends den Notarzt und Margret kam direkt ins Krankenhaus. – Ins Matthias… Man kann es sich anscheinend nicht aussuchen, wohin der Krankentransport einen bringt…

Die Schmerzen waren so stark. Margret war es da egal, wo sie gelindert werden sollten. Ob Matthias oder zur heiligen Nudelsuppe. Egal.

Schmerzen machen fügsam. Wissen wir ja. In unserem Kapitalismus.

Also blieb sie im Matthias. Plante dann auch, dort ihre Chemotherapie zu machen. Wir rieten ihr noch, das Krankenhaus zu wechseln, aber Margret winkte ab. Die hätten ja jetzt ihre Akten da.

Die hatten sie wohl, aber es hielt die Ärzte nicht davon ab, noch einmal – auf neue Rechnung sozusagen – Margret zu untersuchen und erneut die Chemikalien zu bestimmen, die gegen Margrets Krebs eingesetzt werden sollten. Das wurde bereits in der onkologischen Praxis gemacht (und es hatte dort schon lange Zeit gedauert), die Unterlagen waren vom Krankenhaus angefordert worden – und waren dort auch irgendwann eingetroffen (auch das hatte lange Zeit gedauert. Per Post. Nicht digital und in Sekunden). Aber nun, verdienen kann man wohl an einem einfachen Blick in die Akten nicht so viel. Also alles nochmal. Es dauerte wieder – Wochen. Das Ergebnis war das gleiche, wie das von der onkologischen Praxis.

Zwischenzeitlich, recht früh, da bekam Margret doch einmal den Oberarzt zu sehen. Er änderte als erste Amtshandlung direkt ihr Blutdruckmedikament. Einfach so. Margret sagte ihm, dass sie gut eingestellt sei und es doch wohl gerade vor einer Krebsbehandlung nicht ratsam sei, auch noch am Blutdruckmedikament rumzudoktern. Zumal nicht nötig.

Er sei der Arzt und er gebe die Anweisungen, sagte er, und im Übrigen gäbe es ihr derzeitiges Medikament nicht in der Krankenhausapotheke.

Kein Problem, sagte Margret kalt. Dann schreiben sie ein Rezept. Mein Mann geht in unsere Apotheke damit, holt das Mittel und ich kann weiter das Medikament nehmen, auf das ich eingestellt bin.

Der Oberarzt beschimpfte sie noch etwas von oben herab, konnte aber gegen diese Argumentation nichts weiter machen. Vielleicht wird jeder Patient auf das Lieblings-Hochdruck-Medikament des Oberarztes oder des Krankenhauses eingestellt. Vom Hersteller der Wahl… warum wohl, warum das wohl…?

Nun, später, nach weiteren Untersuchungen, durfte Margret noch einmal zum Oberarzt ins Sprechzimmer und er knallte ihr kurz und bündig vor den Kopf, dass sie wohl aller ärztlichen Erfahrung und Prognosefähigkeit nach bald sterben werde. Punkt. Auf Wiedersehen. Ein Unmensch lässt grüßen. Für Margret war das der erste Schlag ins Genick in diesem Krankenhaus. Der erste Schlag, der sie noch schwächer machte. Schwächer an ihrem Mut, an ihrer Zähigkeit, an ihrem Willen.

Nun, wie ging es weiter? Schmerzen, die nicht mehr zu lindern waren, weil Margret kaum Medikamente vertrug. Irgendein Arzt fand eine Mischung an Mitteln, die sie vertrug und die halfen. Margret schlief eine Nacht durch. Am nächsten Tag wusste niemand mehr, was ihr verabreicht worden war. Es wurde auch nicht mehr herausgefunden. Die jungen Assistenzärzte aus allen Nationen des Nahen Ostens wechselten täglich und hetzten im Gleichklang mit dem Pflegepersonal durch die Flure. Nicht zu sprechen für die Patienten. Für die Angehörigen und Freunde schon gar nicht. Und überhaupt: Was weiß denn ein Arzt von dem Patienten, den er jetzt zum ersten mal sieht und den er nach zwei Tagen, auf der nächsten Station eingesetzt, wieder vergessen haben wird?

Margret konnte nichts mehr essen, musste sich immer übergeben, und bekam nachts Flüssignahrung per Infusion. Die Infusion lief nie durch bei ihr. Die Diätberaterin forderte eine Pumpe an, damit die Nahrung aktiv verabreicht würde. Die Pumpe kam und kam nicht. Auf dem Nahrungsbeutel stand deutlich, dass er durchlaufen müsse und nicht ein weiteres mal angeschlossen werden dürfe. Margret wies die Schwester darauf hin, wenn diese den nicht durchgelaufenen Beutel am Nachmittag wieder anschließen wollte. Wenn wir das so machen, dann gibt es bald noch eine Schwesternstelle weniger! Keifte die Schwester Margret an. Was soll man bei Todgeweihten auch noch für ein Theater machen. Sterbende treffen Sterbende…

Margret war unterernährt und entkräftet. Kurz vor der Chemotherapie. Vor einer gesteuerten Vergiftung, die vom Körper mehr als alles verlangen wird.

Aber die erste Chemo kam. Und es war hart. Es war so hart. Aber Margret erholte sich wieder etwas. Nur das Atmen wurde ihr immer schwerer. Drei Tage lang bettelte sie um das Röntgen der Lunge. Sie habe Wasser in der Lunge, denke sie. Nach drei Tagen wurde die Aufnahme gemacht. Am nächsten Tag wusste kein Arzt mehr davon. Man müsse mal nachschauen. Der Vorgang wurde dann am darauf folgenden Tag gefunden. Margrets Lungen waren voller Wasser…

Nach der zweiten Chemo ging es ihr schlecht. Sie wollte keinen Besuch. Die Übelkeit war unerträglich. Wir warteten ab. Irgendwann bekam ich eine SMS: Ich kann nicht mehr. So schlimm. Es folgten verschiedene Zeichen und Buchstaben, die keinen Sinn mehr ergaben. Ich rief ihren Mann an. Von ihm erfuhr ich: Man hatte Margret – versehentlich – eine Überdosis Morphium verabreicht.

Danach war es mit ihr vorbei. Davon hatte sie sich nicht mehr erholt. Ein befreundete Krankenschwester riet ihr, sich auf die Palliativstation verlegen zu lassen. Da wäre mehr Ruhe, mehr Sorge, mehr Möglichkeit zur Genesung. Das klappte auch und da war es auch wirklich schön. Aber Margret war am Ende. Mal klarer, mal nicht klar. Die Überdosis hatte sie gebrochen. So hat dann immer einer von uns oder ihrer Schwestern bei ihr übernachtet. Denn die Nächte waren schlimm. So starb sie dann an einem Vormittag im März. Nicht mehr bei Bewusstsein.

Ihr Mann ist ein ruhiger, sehr zurückhaltender Mensch. Er hat dies alles hingenommen. Nichts konnte er tun. Die Schwester auf der Palliativstation hatte etwas Zeit zum Reden. Es gehe nur noch um Zahlen. Der Mitarbeiter und der Patient spielten keine Rolle mehr. Sagte sie…..

Wohlgemerkt: VOR Corona war das alles.

Krankenhäuser sind Profitcenter. Genauso, wie ein Schlachthof oder eine Mc Donaldsfiliale. Der Zweck eines kapitalistisch betriebenen Krankenhauses ist es, Profit zu machen. Das heißt: Auf möglichst legalem Wege möglichst viel Geld von den Krankenkassen zu erhalten und das bei möglichst geringen Personal-, Sach- und Betriebskosten. Dafür muss man die Belastung der Betriebsmittel maximal erhöhen und die Laufzeiten maximal möglich verlängern. Bis es kracht.

Würde,… Solidarität,… Menschlichkeit…. sind Begriffe, die dort nicht vorkommen. Ob Schlachthof, Mc Donalds oder Krankenhaus. Alle gehorchen dem Diktat des seelenlosen Kapitalismus. Die Krankenhäuser waren schon vor Corona am Ausbluten. Es wurde vorher nichts gemacht, es wurde nach der ersten Welle nichts gemacht und es wurde jetzt in der vierten Welle nichts gemacht. Einfach aus dem Grund, weil mehr Personal, mehr Ausstattung, mehr Kapazitäten GELD kosten. Es verringert den PROFIT. Keiner der verantwortlichen Entscheider ist solidarisch mit dem Krankenhauspersonal. Keiner der verantwortlichen Entscheider ist solidarisch mit der Bevölkerung. Es ist ein Witz. Eine Massenhypnose. Es geht um GELD.

Das Gesundheitssystem müsste in der Lage sein, die Coronafälle zu versorgen. Denn es ist das Recht dieser ungeimpften Steuer und Krankenkassenbeitrag zahlenden bundesdeutschen Staatsbürger a) ungeimpft und b) versorgt zu sein. Sie sind nicht schuld. Schuld ist das Profitstreben und das gegen und nebeneinander her leben, das von unseren kapitalistischen Regierenden befördert wurde und wird. Die Förderung der empathielosen, egoistischen Highperformer, die für ihren Profit über Leichen gehen. Und dass dieser destruktivste überhaupt vorstellbare Wahnsinn so von der verblendeten Bevölkerung als ein bestehendes Naturgesetz angenommen wird.

Die ganze Welt ist ein Profitcenter. Warum wird das Wort Menschlichkeit eigentlich von niemandem in den Mund genommen? Weil, wer Menschlichkeit sagt, festgenagelt ist, weil er sich nicht raus reden kann, weil dieses Wort absolut ist und eine absolute Bedeutung hat, die jeder messen und an der jeder gemessen werden kann. Und es ist das EINZIGE Wort, das unter Menschen zählt. Deswegen wird es vom unmenschlichen Kapitalismus aus dem Sprachgebrauch getilgt.

PS: Mir scheint, bei den Schwestern und auch beim Oberarzt war Margret bereits eine Leiche. Eine störende, nervende Leiche, die von ihren Rechten faselte und nicht begriff, dass sie sich bald, ganz bald – wie alle auch schon vor ihr – schreiend in Agonie und dann im Morphiumnebel in den Leichenkeller verabschieden wird.

Und nach ihr kommen die Nächsten und der Oberarzt bleibt und die Krankenschwester bleibt und so wiederholt sich für sie ein immerwährender Fluss vom redenden Toten zum schweigenden Toten. Vom warmen Toten zum kalten Toten. Was soll da alle Menschlichkeit. Sind die Toten doch schon tot. Sind die Toten doch immer tot. Sind alle doch schon immer tot. Was soll denn da die Menschlichkeit… Und so ist es im seelenlosen System des Materialismus. Jeder von uns hat sein ihm zugeordnetes Profitcenter, dem er als Ressource zu dienen hat. Und am Besten schweigt er. Und am Besten lässt er einfach über sich verfügen. Denn tot… tot ist er für den Materialismus von Anfang bis zum Ende… Was braucht es da dann Menschlichkeit? Die tote Maschine ist die tote Maschine, was kann sie wissen von Sinn erfüllter, Geborgenheit spendender, haltender, warmer, weicher, umarmender Menschlichkeit? Für die tote Maschine ist alles tote Maschine.

Der Mensch weiß, dass er sterben wird! Das ist etwas, was ihn vom Tier unterscheidet. Er ist deswegen in einem Schockzustand. Wahnsinnig geworden in seiner Verzweiflung, weil er weiß, dass er eigentlich bereits tot ist, dass er tot geboren wurde! Und er hat keinen Ausweg daraus. Der Materialismus versperrt ihm den Weg zu seiner Heilung. Er weiß von der Ewigkeit. Deswegen schreckt ihn der ewige Tod. Aber er weiß nichts mehr – darf nichts mehr wissen – von seiner Beseeltheit. Von seinem Ruhen gerade in dieser Ewigkeit. Dürfte er dieses Wissen wieder erfahren, er hätte keine Todesangst mehr. Er müsste kein Maschinensystem erhalten, er könnte wahrhaft – menschlich sein. Er wüsste vom Sinn und würde das Paradies auf Erden erschaffen!

PPS: Und im April da brachte Charlotte eines Tages Karina mit nach Hause. Und ihren Hund Wall-E. Benannt nach ‚Wall-E räumt die Erde auf.‘ Dem Film. Ein Wortwitz. Karina heißt mit Nachnamen Müller. Müll-er. Die, die Müll ist. Und Wall-E räumt den Müll auf der Erde weg. So sah sie das. Karina war eine Obdachlose. Sie war einer der ehrlichsten, aufrichtigsten, selbstlosesten und vertrauensvollsten und schöpferischsten Menschen, die ich je kennen gelernt habe. Und sie war tief gefangen in einer Psychose. Mit ihrem Fahrrad immer auf der Flucht vor imaginären Verfolgern. Durchgefallen in der Gesellschaft, die keine Vorstellung davon hat und auch kein Interesse daran hat, wie ein solcher Mensch heilsam und heilspendend wieder integriert werden könnte (Worin integriert? In diesen Wahnsinn? Frage ich mich gerade.).

Sie hat mir Fotos gezeigt. Von früher. Beim Joggen. Bei der Abschlussprüfung. Sie hat mal Yoga gemacht. Und im Reformhaus eingekauft. Ein besonderer Mensch. Leider durchgefallen und in den Müll gesetzt….

Aber das ist eine andere Geschichte. Manchmal sogar ein bisschen lustig. Wenn sie nicht zum Rotz und Wasser heulen wäre… Aber davon vielleicht ein anderes mal…

Niemals darf der Schmerz uns leiten. Unser Handeln erwächst aus dem angstlosen Wissen um unsere Geborgenheit im Sinn, um unsere Beseeltheit und um die ewige Einheit von allem. Wir handeln immer in Liebe zu allem und jedem. Es existiert keine innere Trennung. Niemals darf der Schmerz allein uns leiten.

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