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Die Einheit des Verstandes

Der Verstand sucht, die Einheit zu verwirklichen. Und er sucht sie in den Ansichten. Aus diesem Grunde wird diese Einheit immer unvollständig bleiben, denn er kann auf eine seiner – persönlichenAnsichten nur eine begrenzte Menge an Menschen sammeln und „vereinen“. Es folgt nun einmal nicht jeder Mensch auf Erden der Ansicht unseres beispielhaften nach Einheit strebenden Verstandes. Ist unser Verstand der Meinung „A“, so wird es neben den Menschen, die ihm in „A“ zustimmen, immer eine Gruppe von Menschen geben, die stattdessen der Meinung „B“ ist. Die Einheit des Verstandes kann immer nur in einer Teil-Einheit bestehen und dadurch letztlich immer nur in der Trennung münden. In diesem Beispiel ist es die Trennung in die Gruppen, die „A“ oder „B“ favorisieren. Dem Verstand ist die ganze Wahrheit nicht zugänglich, da sie nicht ausschließlich in seiner Welt der Dinge existiert. Jede Ansicht, die er haben kann, ist als „richtig“ oder „falsch“ beurteilbar, weil sie aufgrund seiner Begrenztheit niemals die abschließende Wahrheit enthalten kann. Egal, was der Verstand auch anstellt: Verlässt er sich nur auf sich und seinen materiellen Weg, erzeugt er mit allem, was er sagt, meint und tut, ausschließlich Trennung.

Sogar selbst, wenn es ihm gelänge, alle Menschen dieser Welt auf seiner Ansicht „A“ zu vereinen: Es gibt so unendlich viele Aspekte in der Welt der Dinge, zu denen sich die unterschiedlichsten Ansichten bilden lassen! Denn schafft der Verstand das Unmögliche und vereint alle Menschen zu einem Aspekt auf einer Ansicht, so ist für ihn gar nichts gewonnen, denn in hunderttausenden anderer Aspekte stehen die von ihm gerade in einem Thema vereinten Menschen wieder in Opposition zu ihm.

Alle Menschen in allen Aspekten seiner Ansicht: Das ist das Ideal des Verstandes. Das ist der Zustand, von dem er glaubt, dass er ihm den Schmerz des Getrenntseins nehmen könnte. Dieses Ideal ist aber nicht zu erreichen. Von Menschen mit Macht wurde dieser Versuch beispielsweise im Faschismus und im Kommunismus unternommen. Er scheiterte daran, dass man nicht alle Menschen töten konnte, die sich nicht auf den geforderten Ansichten vereinen ließen.

Weil sein Ideal außer durch die Vernichtung aller Andersdenkenden nicht erreichbar ist, sucht der in der Regel nicht mit Macht über Leben und Tod ausgestattete Verstand die Einheit in sich selbst. In der Isolation. In den vier Wänden. In der Unabhängigkeit. Im Individualismus. In der Mode. In der Abtrennung von den anderen, die er nicht los wird. Die er weder für sich gewinnen, noch aus der Welt schaffen kann. Und er sucht die Einheit in sich selbst im Belehren. Im Belehren? Ja. Nichts isoliert besser, als der Katheder von dem aus man – getrennt von der Masse – seine Ansichten darbringen kann. Viele Lehrer und viele Künstler beispielsweise wählen ihren Beruf nicht, weil sie den Kontakt zu Menschen suchten. Sie wählen ihren Beruf, weil er es ihnen ermöglicht, hinter einer klar definierten und nicht überwindbaren Grenze stehen zu können und dabei ihre „Ansichten“ der oft anonymen und von ihnen getrennten Masse – widerspruchslos – darbringen zu können. Es ist die für die Zeit des Wirkens sprachlose Masse, die in ihrer Macht- und Sprachlosigkeit dem Verstand des Belehrenden die Illusion der Zustimmung, der Einheit, der lang ersehnten Ruhe suggeriert.

Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!“ war einer der Wahlsprüche im faschistischen Deutschland. Ein Satz, in dem alle Wahrheit über das Konzept des Verstandes vereint ist. „Entweder sind alle unserer Meinung oder wir werden uns – so oder so – von denen trennen, die es nicht sind!“ Und Trennung erfolgt durch die Zufügung von Schmerz.

Die einzige Ansicht, auf die sich vielleicht alle Menschen vereinen ließen, wäre die, dass jedem von uns ein bestimmtes Phänomen, genannt Tod, früher oder später begegnen wird. Nur: gerade diese Ansicht ist der größte Schrecken des Verstandes. Gerade diese Ansicht möchte er am liebsten verneinen und unerwähnt lassen. Aber alleine in der Anerkennung dieser Ansicht und in der bewussten und annehmenden Vereinigung der Menschen auf diese Ansicht liegt der Schlüssel zur weiteren Entwicklung der Menschheit. Liegen die Antworten auf die Fragen nach dem Sinn, die unsere seelenferne Gesellschaft so quälen.

Niemals darf der Schmerz uns leiten. Unser Handeln erwächst aus dem angstlosen Wissen um unsere Geborgenheit im Sinn, um unsere Beseeltheit und um die ewige Einheit von allem. Wir handeln immer in Liebe zu allem und jedem. Es existiert keine innere Trennung. Niemals darf der Schmerz allein uns leiten.

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