Juli scheint im Frieden zu sein. Nach einer Stunde Spaziergang kann sie loslassen. Schnüffelt auf der einsamen Wiese im Außenbereich des Universitätscampus. Fast selbstvergessen. Kein unaufhörliches Überprüfen der Umgebung mehr. Keine manischen Übersprungreaktionen. Kein Kontrollzwang und dauerhafte Alarmiertheit. Stattdessen: Frieden. Und – scheinbares – Vertrauen in die Welt.
Doch dann: Über einen Trampelpfad durch hohes Gras nähern sich für Juli unsichtbar zwei Studenten. Sie sprechen auch noch Spanisch! Juli hört sie und im Bruchteil einer Sekunde reißt sie den Kopf hoch, schlägt zweimal an, und überschlägt sich spektakulär in der Luft nach hinten, nachdem ihr gewaltiger Hechtsprung in Richtung der Stimmen durch die Länge der Leine begrenzt wurde.
Nun ist es an mir. Kraftvoll-gelassen muss ich jetzt sein. In Ruhe und felsenfest. Die geführte Führung muss ich sein. Nun muss ich wieder übernehmen. Dem verschreckten Kind, das auf der Wiese seine Führung vergessen hat, weil alles gerade so schön friedlich schien, wieder Vertrauen in die Welt schenken. Echten Frieden schenken. Denn: Der Frieden in dem Juli auf der Wiese war, war kein echter Frieden. Es war Frieden in der Einsamkeit des Egos, der nur möglich war, weil zufällig gerade nichts sie Erschreckendes, nichts schmerzvoll auf ihre Wahrnehmung Drückendes ihre Sinne flirren ließ. Der Frieden des einsamen Egos. Temporärer, lokaler Frieden. Zufälliger Frieden. Der Frieden des materialistischen Menschen. Herbeigeführt durch Zäune, Anwälte oder Maschinengewehre. Vielleicht auch durch Playstations, Volkswagen und Trekkingurlaube. Gekaufter Frieden. Gekauftes Paradies. Zeitlich und lokal begrenzt. Gekaufte Abwesenheit von Angst. Zerbrechlich. Jederzeit. Zufällig. So zerbrechlich! So begrenzt…! Jederzeit…! – Umso schmerzvoller, umso schlimmer war es, als die beiden Studenten in ihrer fremden Sprache aus dem Nichts heraus Julis fragiles, zufälliges Paradies zerstörten. Umso härter war Julis reflexhafte Antwort. Julis Gegenschlag zur Rettung ihres Ego-Paradieses. Zur Vernichtung der Schmerzverursacher. Der Schuldigen.
Diesem zufälligen, gekauften, temporären, begrenzten und zerbrechlichen und einsamen Frieden, dieser zufälligen Abwesenheit von Schmerz, steht der wirkliche Frieden gegenüber. Dieser ist ewig und überall. Er ist voller Geborgenheit und er ist angstfrei. Er ist gelassen und kraftvoll und voller Wissen. Ihm kann sich der Mensch hingeben. Ihm kann – und wird – sich Juli hingeben. Dann können sie abgeben, denn sie wissen, dass sie geführt sind, egal, was geschieht. Das sie behütet sind, egal, wie die Umstände auch sein mögen. Dann können sie fragend aufschauen und bekommen als Antwort kraftvolle Gelassenheit und felsenfeste Ruhe.
Juli ist bereit, sich führen zu lassen. Sie muss es nur noch lernen, denn sie ist ein Kleinkind. Und wenn sie es gelernt hat, dann bringt sie nichts mehr aus der Ruhe. Solange ich geführt bin und mich nichts aus der Ruhe bringt. Denn ich bin ihre Führung. Und ich bin geführt von der Quelle der Kraft. Und diese kommt nie aus der Ruhe und solange ich mich auf sie verlasse, kann auch ich in kraftvoller Gelassenheit verharren. Egal, wie die Umstände sein werden.
Der Mensch muss ihn eintauschen. Den gekauften Frieden. Er muss ihn eintauschen gegen den ewigen und unendlichen Frieden im Sinn seiner Existenz. Dann braucht es kein Aufschrecken mehr aus einer Illusion, keine Gegenschläge zur Verteidigung von etwas, das so vergänglich und so flüchtig ist wie Rauch…