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Der Biohof

Zu der Zeit, als mein seelische „Wiederbewusstwerdung“ erst einige Monate alt war, habe ich bei einem sehr sympathischen Paar auf ihrem Bio-Bauernhof übernachtet. Beide waren nicht jung, aber auch nicht alt. Die Frau kam vor Jahrzehnten aus Berlin. Woher er stammte weiß ich nicht mehr. Sie mit roten Haaren und kräftig. Er schlank mit Pferdeschwanz und Nickelbrille. Wie es sich für „Ökos“ irgendwie gehörte. Ich kannte sie vorher nicht und hatte sie mit gemeinsamen Freunden dort besucht. Es war ein älteres, kleines Gehöft auf dem die Beiden lebten und arbeiteten. Das Haus fungierte auch als kleines Seminarhaus und bestand aus einer Tenne mit großem Tisch, einer großen Küche, einem kleinen Bad, ihrem Schlafzimmer, verschiedenen Gästezimmern – und einem kleinen vielleicht drei mal drei Meter messenden Flur. In diesem Flur befand sich ein Holzofen und an der anderen Seite standen zwei alte Ohrensessel. Mein Zimmer lag hinter einer der vier Türen, die von diesem Flur abgingen. Als wir uns alle zur Nacht verabschiedeten, setzten sich unsere beiden Gastgeber in dem Flur in die Sessel gegenüber des Ofens. Da ich mein Zimmer gerade nebenan hatte und mir nicht nach Schlafen war, las ich noch ein wenig und konnte so dem was im Flur geschah (oder nicht geschah) gut folgen. Lange hörte ich nichts. Dann begann ein leises mir akustisch unverständliches Gespräch. Gefolgt von weiterem längeren Schweigen. Und wieder ein kleinerer Gedankenaustausch mit nachherigem Schweigen und so weiter, bis ich das Knarzen der Sessel hörte, sich Schritte entfernten und eine Tür schloss. Ich war fasziniert. Die beiden saßen, wenn nicht gerade Besuch da war, einfach nur im Flur herum. Wahrscheinlich jeden Abend. Kein Fernseher, kein Radio. Kein Kartenspiel. Kein Buch. Einfach so. Und sie schwiegen die meiste Zeit. Und dann gingen sie schlafen. In mir wuchs zu der Zeit zwar bereits das Bewusstsein, dass die Welt nicht das ist, was sie zu sein scheint, aber so etwas konnte ich absolut noch nicht begreifen. Ich steckte trotz allem noch fest in meinen althergebrachten Vorstellungen, wie etwas üblicherweise zu sein hat.

Der Witz daran ist im Nachhinein: Wir leben jetzt genau so! Nur, dass wir ein Wohnzimmer haben, in dem der Ofen steht. Es ist aber auch nicht viel größer als der besagte Flur des Bauernhauses. – Vielleicht haben wir dem Flur auch nur einfach den Namen Wohnzimmer gegeben. – Und wenn es Dunkel wird, dann gehen wir ins Bett. Automatisch. Es gibt nichts mehr zu tun.

Wie eigenartig mich doch damals etwas anmutete, was nun für mich das Normalste von der Welt ist. Wie sich etwas entwickeln kann, verändern kann. Unbemerkt. In die eine oder andere Richtung. Und wie schwierig es sein kann so etwas „Alternatives“ einfach anzunehmen, obwohl man doch selbst auch gerade auf einen äußerst „alternativen“ Lebensentwurf zusteuert. So begrenzt sind wir in unserer Wahrnehmung. So sehr sitzen althergebrachte Vorstellungen in uns fest. Aber alles kann heute so und morgen ganz anders sein. Das Gleiche gilt auch für den Inhalt dieses Buches. Auch er hat seine Zeit, in der er wahr ist. Auch er ist einer inneren Entwicklung unterworfen.

Jetzt werden wir beäugt und verwundert angesprochen: „Was trinkt Ihr denn dann abends, wenn Ihr so keinen Alkohol trinkt? Was macht Ihr denn den ganzen Abend ohne Fernseher?“ Antwort: „Wasser, Tee, Saft oder gar nichts. Reden, schweigen, lesen. Und früh zu Bett gehen.“

Tja. Wer hätte das vor einigen Jahren gedacht…

Noch in weiterer Hinsicht war jener Besuch sehr bemerkenswert. Auf dem Hof wurde auch Heu „produziert“. Ballenweise. Die Beiden erzählten mir, dass jemand auf sie zugekommen sei und ihnen einen Vorschlag gemacht hätte: Sie sollten Ihr Heu nicht ballenweise verkaufen, sondern in kleineren 2kg Tüten. Er würde Ihnen diese Tüten stellen und sie von den Beiden gefüllt für einen guten Preis abnehmen, der weit über dem läge, den sie ballenweise für ihr Heu bekämen. Alles nach dem „Dr. Oetker-Prinzip“: Packe die Sachen in kleine Gebinde und nimm den vielfachen Preis dafür.

Aber, nö, irgendwie wollten die Beiden das nicht. Ist dann nichts weiter draus geworden. Ich war sprachlos!Leichter sein Geld vermehren ging doch fast gar nicht! Was waren denn das für Idioten? Zu fein, für einen anderen Tüten zu füllen oder was!? Zwanzig Jahre hatten sie den Hof bereits. Für die Pacht der zwanzig Jahre hätten sie den Hof längst zwei Mal vom Besitzer kaufen können. Und gerne hätten sie einen vernünftigen Trecker gehabt. Nicht das alte Ding, das „nur geradeaus fahren kann“. Meine Güte! Wenn die so wirtschafteten, dann konnte das ja auch nichts werden! Zu faul, das Heu in die Tüten zu packen!

Ich hab es damals nicht begriffen. Ich war selbst dabei, dem Weltlichen zu entfliehen, aber das hatte ich noch nicht einmal begriffen. Ich hatte zu der Zeit noch viel Angst. Die Welt wurde neu für mich. Alte Strukturen brachen zusammen. Das Geld ließ mich nicht los. Ich war daran doch noch so als Hort der Sicherheit gewöhnt und doch konnte ich so nicht weiterarbeiten. Was hätte ich damals um die Möglichkeit gegeben, durch „Heu in Tüten packen“ mir meine künstliche finanzielle Sicherheit zu erkaufen! Daher rührte mein Entsetzen, ob ihrer scheinbaren Leichtfertigkeit.

Nachdem ich meiner Frau fassungslos davon erzählt hatte, hat sie mich viele Jahre lang immer wieder an dieses Beispiel erinnert. Sie sagte immer: „Denk an das Heu in den Tüten.“ Ich hatte es damals nicht begriffen. Es ging nicht um das Geld. Um den Mehrverdienst. Ein neuer Trecker wäre schön gewesen. Aber er war nicht notwendig. Nicht um jeden Preis. Den Hof zu kaufen, war ein Wunsch. Aber besitzt man das alte Gehöft, dann kommt die Last des Besitzes. Nichts von dem war notwendig! Alles war gut, so wie es war! Es gab nichts zu mehren, zu verändern oder zu optimieren. Sein Tagwerk tun und Abends in den speckigen Sesseln sitzen, bis einem die Augen zu fielen und man ins Bett ging. Warum denn mehr? Oder was denn mehr? Oder was denn anders? Und vor allem warum? Die Hühner gackerten und die Welt war gut so, wie sie war. Änderte sie sich, dann wandelte man sich in seinem Rahmen mit.

Der Bio-Bauer sagte mir: „Ich fahre keine Autobahnen. Die haben schlechte Energien.“ Jeder von uns weiß das. Aber niemand handelt entsprechend.

Niemals darf der Schmerz uns leiten. Unser Handeln erwächst aus dem angstlosen Wissen um unsere Geborgenheit im Sinn, um unsere Beseeltheit und um die ewige Einheit von allem. Wir handeln immer in Liebe zu allem und jedem. Es existiert keine innere Trennung. Niemals darf der Schmerz allein uns leiten.

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