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Das sogenannte „Böse“ ist der Verlust der seelischen Wahrnehmung

Wer erblindet oder blind geboren wurde, der kann immer noch durch Hören seine Umwelt wahrnehmen, interpretieren und daran teilnehmen. Wer sein Gehör verloren hat oder taub geboren wurde, der kann die Welt immer noch mit seinen Augen wahrnehmen. Beiden – und so auch dem Taubstummen – steht zudem noch das Tasten, Schmecken und Riechen zur Verfügung, um sich in der materiellen Welt der materiellen Sinne zu orientieren. Und: Sie verfügen zu dem über ihren Seelensinn. Die uns meist unbewusste aber wirksame Wahrnehmung der Vorgänge in unserer jenseitigen Existenz. Das innere Wissen um die Einheit aller Dinge und Wesen. Der Besitz dieses Sinnes alleine lässt uns und sie erst begreifen, was im Gegenüber an nichtmateriellen Vorgängen stattfindet. Wir sind – ohne es bewusst zu bemerken – eins mit unserem Gegenüber und erkennen seinen Schmerz, seine Liebe, sein Wesen. All das, was nicht in Raum und Zeit als Materie existiert und doch den anderen ausmacht. So sind der Blinde und der Taube trotz ihres Handicaps geborgen sowohl in der materiellen als auch in der jenseitigen Welt. Vielleicht sind sie es nicht so, wie ihnen lieb wäre, aber es besteht für sie die Möglichkeit dazu, denn sie haben einen prinzipiellen Zugang zu allen Ebenen ihrer Existenz. Die Welt und ihre Zusammenhänge können sich ihnen erschließen. Ist ein Mensch aber nicht körperlich blind oder taub, sondern ist bei ihm der Seelensinn vollständig verschlossen oder gar nicht ausgebildet, dann entsteht das, was in allen Kulturen und zu allen Zeiten als das Böse bezeichnet wurde und wird. – Das Böse im Menschen ist das Handeln, das aus dem Zustand erwächst, in dem der Seelensinn des Menschen vollständig verschlossen ist. Nichts ergänzt dann mehr die Wahrnehmung des Verstandes von einsamem Ego und vollständiger Getrenntheit. Es gibt für diesen auf die rein materielle Wahrnehmung zurückgeworfenen Menschen keine noch so unbewusste Erfahrung der Einheit. Nichts lässt ihn auch nur im geringsten einen Zusammenhang zwischen sich und der restlichen Schöpfung erkennen.

Der vollständig Getrennte leidet unter sich selbst. Er leidet unter seinem ihm unbewusst bewussten Mangel. An seiner Einsamkeit. Er ist alleine und kennt nur seinen eigenen Schmerz, der aus dieser Einsamkeit erwächst.

Vielleicht versucht er noch Liebe und Gemeinschaft zu simulieren. Aber es ist immer nur eine hohle Kopie von etwas, was er in keiner Weise begreifen kann. Es sind seelenlose Worte und Handlungen mit rein materiellem Bezug und Ursprung. Und er weiß das. Er weiß von seinem Makel. Von seiner Unfähigkeit, die Gefühle der anderen zu verstehen oder gar selbst solche Gefühle zu empfinden. Er empfindet nur sich. Und da ist, weil er völlig einsam und getrennt von allem ist, nur Schmerz.

Der seelische und auch körperliche Schmerz des anderen wird ihm Quelle der auch für ihn lebensnotwendigen seelischen Kraft. Durch den Schmerz des anderen erlangt der vollständig Getrennte die Kraft, die ihm durch seinen verschlossenen Seelensinn verwehrt ist. Er lebt durch den anderen, da er selbst keine eigene Lebenskraft aufnehmen kann und versucht mit allen Mitteln, diese Kraft von seinem Gegenüber abfließen zu lassen. Er kennt nur das Gefühl des Schmerzes und so ist Schmerz das einzige Gefühl, mit dem er anderen Menschen gegenüber in Verbindung treten kann.

In dieser Einsamkeit ist alles Kampf um das eigene Überleben. Er ist umringt von Feinden, die er auch noch als verantwortlich für seine Schmerzen ansieht. Er verleugnet seinen Makel. So trennen sie sich seiner Ansicht nach von ihm. Sie sind in seinen Augen die, die ihn ausgrenzen und dazu zwingen, so zu handeln wie er es muss. Die ihn zwingen, „böse“ zu handeln.

Alles Handeln ist die Zerstörung des anderen. Um zu strafen, um sich zu nähren und um sich im Schmerz zu vereinigen.

Er kämpft einen Kampf, in dem alle Mittel erlaubt sind: Die Gnadenlosigkeit, weil ihn nichts mit dem Nächsten verbindet und ihm das Leid des anderen nicht erkennbar ist, ihn somit nicht berührt. Der Hinterhalt, weil er weiß, dass er alleine gegen alle steht und diese sein Handeln nicht gutheißen würden. Das Fallenstellen, das Einflüstern von Unwahrheiten, um den Hassenswerten, den Schuldigen, zu vernichten ohne dass der Hauch einer Schuld daran auf ihn selbst fallen könnte. Das Verdrehen der Wahrheiten. Findige Worttricks, um das Böse zu legitimieren. Ohne Beweis keine Schuld. Ohne Beweis ist alles erlaubt. Die Schlange… Die Grausamkeiten hinter den vier Wänden. Im Verborgenen. Seelische Gewalt mit schwer erkennbaren Wundmalen. Jekyll und Hyde. Der rechtschaffene Biedermann, dem niemand solche Grausamkeiten zugetraut hätte. Oder der Exzess, wenn er die Macht inne hat, sich vor niemandem mehr rechtfertigen zu müssen und keine Konsequenzen mehr drohen. Ungestraft alles zu tun, um den unendlichen Schmerz mit dem Schmerz der anderen zu betäuben. Hitler und die Vernichtung der Gemeinschaft der Juden, als er endlich konnte wie er wollte. Als er ihnen das antat, was sie seiner Ansicht nach verdient hatten. Stalin, der jeden vernichten ließ, der auch nur im entferntesten eine Gefahr darstellte und der noch so viele andere sterben ließ. Saddam Hussein, der bei seiner Machtübernahme mit unbewegter Miene alle seine alten Parteigefährten direkt aus dem Parlamentssaal weinend abführen und hinrichten ließ. Und die vielen anderen, deren weltliche Macht keiner weiteren weltlichen oder eben einer eigenen seelischen Instanz mehr unterworfen war und ist. Daher ist das Böse – hat es nicht genug Macht – heimlich wie die Schlange oder es ist – hat es so viel Macht, dass es keiner Heimlichkeiten mehr bedarf – so brachial und grenzenlos, dass einem der Atem stockt. Das ist das Böse, das entsteht, wenn ein vollständig Getrennter seine fehlende Seelenkraft durch die Seelenkraft der anderen kompensieren muss, um zu leben. Der zusätzlich seinen seelischen Mangel durch die Kraft weltlicher Macht ersetzen muss – ob in der Familie, im Unternehmen oder im Staat. So alleine er ist, so machtvoll muss er werden, um seine einsame Welt zu gestalten. Und er tut dies ohne Grenzen zu kennen und mit allen Mitteln in voller innerer Überzeugung seines Rechts, so handeln zu dürfen. Ja, so handeln zu müssen. Der andere, der von ihm Getrennte, ist eine Gefahr, die bedingungslos vernichtet werden muss. Der andere ist das menschgewordene Kainsmal, das in seiner Wahrnehmung – in seiner unbewussten Erkenntnis seiner „Schuld“ – immer mit dem Finger anklagend auf ihn zu zeigen scheint. Der ihn an seinen Makel immer und immer wieder erinnert. Dadurch wird der andere abgrundtief hassenswert. Und durch den Prozess dessen gnadenloser, keine Grenzen kennender Vernichtung wird er gleichzeitig zur Quelle von Kraft. Das Böse hasst den anderen nur, weil er existiert und jenem allein durch seine Existenz vor Augen führt, wie verkrüppelt und behindert es ist. So entsteht aus dem Fehlen der seelischen Wahrnehmungen der Hass auf die, die unversehrt sind und die dem Ermangelnden allein durch ihre Existenz unendliche Schmerzen zufügen, indem sie ihm die seelische Fülle vor Augen führen, die er nie erlangen kann und von der er tief in sich verborgen weiß, dass er sich eigentlich so sehr danach sehnt und er sie eigentlich für ein erfülltes – gesundes – Leben auch braucht. Da der Ermangelnde nur sich in seiner Trennung, der unermesslichen Einsamkeit, erkennen kann und gezwungen ist, so zu leben – in diesem Zustand des negativen, bösen Handlungszwangs an seinen Nächsten -, muss er Gründe konstruieren, die ihn ins Recht und die anderen – die, die er vernichten muss – ins Unrecht setzen. Da kann es sich um Familienmitglieder oder ganze Volksgruppen handeln, die er in seiner Welt als Schuldig proklamieren, entwerten und zur Vernichtung freigeben muss. Da er nicht anders kann als er kann, muss er im Recht sein und die anderen, die ihm so überheblich überlegen erscheinen, im hassenswerten Unrecht. Sie müssen zu den wahren Schuldigen gemacht werden, um seinen inneren Hass und seine äußeren Gewalttaten, mit denen er ihnen ihre Kraft nimmt, zu legitimieren, sie vor sich und der Welt zu rechtfertigen. Die anderen hassen ja in seinen Augen ihn. Sie schauen ja in seinen Augen auf ihn herab. Sie sind in seinen Augen die Bestrafenswerten. Sie spielen einfach nicht nach seinen Regeln (denn andere Regeln als seine eigenen kann er nicht erkennen oder gar vergleichen). Sie lassen sich nicht einfach benutzen und sind innerlich so widerwärtig stark. So widerwärtig in innerer Gemeinschaft mit der Schöpfung. Sie sind für ihn die Schuldigen, die ihn ausgrenzen und sein Leben zur Hölle machen. Aber er weiß, dass seine Hölle eigentlich in ihm selbst erzeugt wird. Er hasst seine eigene Existenz und unterstellt diesen Hass ihm gegenüber den anderen. Er hält sich selbst für unterlegen – mit Mängeln behaftet – und unterstellt diesen Gedanken ihm gegenüber den anderen. Da diese negative Haltung der anderen ihm gegenüber wahr sein muss, sorgt er mit ausgesuchter Perfidie und Grausamkeit oder heimlicher Zermürbung dafür, dass diese negative Haltung in den von seinem Hass Betroffenen auch wahr wird – um daraufhin beim kleinsten Anlass vor sich selbst gerechtfertigt unerbittlich zuschlagen zu können. So erzeugt er ein Klima der Abneigung gegenüber ihm selbst. So erschafft er erst die Feindschaft und bringt die absolute Trennung in die Welt. Nur muss er dies leugnen und dafür belügen und betrügen. Andere und auch sich selbst. – Da die einzige Kraft, die ihn sonst noch am Leben hält, die materielle Macht ist, lebt er in Angst vor ihrem Verlust. Er lebt in der Angst, dass andere ihm diese Kraft nehmen könnten und strebt im Inneren deren Vernichtung und dadurch die vollständige Kontrolle an. Ruhe fände er, wenn seine Welt ein Friedhof wäre und er alleine und endlich für sich auf den Gräbern der Toten tanzen könnte. Ihnen eine Nase drehen könnte. „Na, wer hat denn nun Recht? Wer hat denn nun den längeren Atem? Wer liegt denn jetzt im Staub? Ihr elenden Gutmenschen. Wer schaut nun auf wen herunter?!! Ich bin gut. Ich bin besser als ihr! Ich habe keinen Makel, den ihr mir andichten wolltet! Ich habe gesiegt! Meine eine Welt hat gesiegt!Er ist so getrennt, dass alles andere gehen muss, aus seinen Augen muss, sterben muss, damit er nicht mehr mit dem Makel seiner Taten und Gedanken in seiner Einsamkeit und Getrenntheit konfrontiert ist. Wäre er alleine auf der Welt, dann wäre er wieder eins. Mit sich und ohne jegliches Leben um sich herum. Niemand wäre dann mehr da, der ihm vor Augen führen könnte, welch eine Karikatur menschlicher Existenz er sich mit seiner gnadenlosen Zurechtbrechung der Welt geschaffen hat. Der treue Hund, der nicht widerspricht und sich immer freut, der wäre noch erlaubt. Der urteilt nicht. Auch Menschen, deren Kraft er bereits erschöpft hat, die gebrochen sind. Kraftlose und resignierte Marionetten in seinem Reiche. Vor Angst Gelähmte. Erpresste. Sie dienten ihm noch als Kulisse, mit der er sich und der Welt ein normales Leben vorgaukeln könnte. „Schaut. Man liebt mich doch! Schaut, mein Hund und die Menschen in meiner Nähe!“ Und er hält sie am Nacken hoch um sie zu zeigen und schüttelt die Leblosen wie schlaffe Puppen. Diese urteilen auch nicht mehr. Und ist dort ein Mensch, der den Einsamen zu lieben scheint. Jener könnte es diesem nicht beweisen. Würde sich der Liebende zum Beweis seiner Liebe töten, für den Einsamen wäre der Tod nicht langsam und grausam genug gewesen, um die Liebe beweisen zu können. Nichts könnte ihn von der Liebe überzeugen, denn er kann Liebe nicht erkennen. Da er nur Schmerz kennt, ist auch Liebe für ihn Schmerz.

So sind die Ursache für das Böse Angst und Hass. So ist die Ursache für Angst und Hass das Fehlen der seelischen Wahrnehmung. Das Fehlen der Wahrnehmung der Verbundenheit mit allem, was existiert und der daraus resultierende nicht korrigierbare Schmerz. Denn das ist dessen spezielle Eigenschaft: Die fehlende Korrigierbarkeit. Stellt die Gesellschaft unendlich viele Hilfen und Hilfsmittel für Blinde oder Taube zur Verfügung und ermöglicht ihnen dadurch ein fast „normales“ Leben, so unwissend und ratlos steht sie vor dem Phänomen des fehlenden Seelensinns und seiner Konsequenzen. In dieser Welt der fünf materiellen Sinne ist der Betroffene wirklich auf jeder Ebene alleine – der Jenseitige Aspekt ist ihm verschlossen und im Diesseitigen hat niemand ein Heilmittel für ihn bereit. Und er weiß tief im Inneren, dass es sich nicht ändern lässt und er bis zu seinem Lebensende zu diesem Dasein verdammt ist.

So scheint das Böse nicht die Ursache für das Handeln aus Hass und Angst zu sein, sondern deren Folge. Es ist ein Zwang, dem der Betroffene ausgesetzt ist, um in seiner Verkrüppelung überleben zu können. Wie das Bild des Vampirs, der auch Nacht für Nacht töten und vom Blut der Menschen trinken muss, um zu leben und dem keine Wahl bleibt, mag er es sich noch so sehr wünschen.

Niemals darf der Schmerz uns leiten. Unser Handeln erwächst aus dem angstlosen Wissen um unsere Geborgenheit im Sinn, um unsere Beseeltheit und um die ewige Einheit von allem. Wir handeln immer in Liebe zu allem und jedem. Es existiert keine innere Trennung. Niemals darf der Schmerz allein uns leiten.

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