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Das Böse ist der fehlgeleitete Überlebensinstinkt

Das Böse basiert auf einer fehlgeleiteten Form des Überlebensinstinkts. Denken wir an den Begriff Überlebensinstinkt, dann denken wir vielleicht an die heillose Flucht des Rehs vor dem Wolf, den panischen Kampf der Taube, wenn sie sich in den Fängen der Katze befindet oder die Maus, die, beim Anblick des Bussards über sich, instinktiv blitzschnell in ihrem Loch verschwindet. Der Überlebensinstinkt kann sich aber auch in anderer Form, viel ruhiger und überlegter, zeigen. Je nachdem, wie viel Zeit zum Handeln die Bedrohung mit dem Tode jemandem lässt.

Ein Mensch, der beispielsweise in einer Höhle verschüttet worden ist, hat verschiedene Möglichkeiten, zu reagieren. Er kann sich weinend und schreiend panisch an den ihn umgebenden Felswänden den Kopf blutig schlagen und die Finger blutig kratzen, um dann nach verzweifelten Wut- und Hasstiraden in Agonie zu verfallen – und sich letztendlich wie ein geschlagenes Beutetier erschöpft dem Tod durch das Raubtier Höhle hingeben – oder er kann seinen Verstand einsetzen und versuchen, systematisch sein Überleben zu sichern. Er rüstet sich dann für den Kampf Materie gegen Materie.

Der Verstand ist der Meister der Materie. In der Angst ist er in seinem Element, in dem er zur Höchstform auflaufen kann. Angst ist das Unwissen über die Zukunft. Also tut der Verstand etwas, um die Zukunft durch sein Handeln zu beeinflussen, um sie für ihn berechenbarer zu machen. In der Todesangst, in der er sich in der beispielhaften Höhle befindet, entfaltet sich sein ganzer Kampfesgeist. Der menschliche Verstand steht dort gegen den Rest der Materie. In diesem Falle bedeutet das: Er stellt sich gegen das Raubtier Höhle, das ihn verschlungen hat und töten will. Das Raubtier Höhle hat ihn von seinem Überleben in Licht und Nahrung abgetrennt. Die Angst des Menschen wird zur entschlossenen Wut und der Verstand ordnet die Waffen, die er bei sich trägt. Die „Vernichtung“ der verschlossenen Höhle ist eine Möglichkeit. Die Steine und das Geröll können mit Hacke und Flaschenzug und Schaufel und Brechstange aus dem Weg geräumt werden. Langsam, zäh, kontinuierlich – und vielleicht erfolgreich. Vielleicht hat der Verstand auch Sprengstoff zur Verfügung und sprengt sich an einer dünnwandigen Stelle, die er auf seiner Höhlenkarte identifiziert hat, ein Loch in das Monstrum. Schnell, laut, erschütternd – und vielleicht effektiv.

Vielleicht hat der Verstand auch nur sich selbst als Waffe. Dann sucht er einen Ausweg aus dem Labyrinth. Er folgt dem Plätschern des Wassers. Er spürt mit geschlossenen Augen den leisesten Lufthauch auf seinen Wangen. Er, der Herr der fünf Sinne. Letztlich kommt er zu einer hoch oben versteckten Öffnung. Er sieht das Licht und klettert hinauf – schleicht sich heimlich aus dem Schlund des Wesens, das nichts als seinen Tod will, hinaus. Er tut dies in dem Triumph, sich von der Höhle und dem ihm von ihr zugedachten Schicksal getrennt zu haben. Er steht im Sonnenlicht. Zurück im Leben. Seine Todesangst löst sich und was bisher nur zähe und kontrollierte Wut sein durfte, entlädt sich in der nächsten Stufe: In unbändigem Hass auf den Verursacher des Schmerzes und der Angst: Er steht draußen im Licht und brüllt in seinem Hass in den Höhlenschlund hinein. Verflucht ihn. Verhöhnt ihn. Tritt mit dem Fuß noch loses Geröll in den tiefen Schacht. So viel Angst hatte er und so viel blinden Hass musste er während seiner Suche nach einem Ausweg unterdrücken. Doch nun hat er sich – aus eigener Kraft! – von dem ihm zugedachten Schicksal getrennt.

Der Kampf ist gewonnen. Im Kampf gegen die Materie musste der Mensch ebenfalls zur reinen Materie werden. Die Angst hielt ihn wach. Die Wut gab ihm den Gegner und dadurch den Antrieb. Er fühlte keine Einheit mehr mit der im umgebenden Umwelt. Die dadurch verfügbaren Methoden waren die Zerstörung und die Trennung.

Nun wäre es Zeit, das Pendel vom Hass weg wieder in die Mitte zu bewegen. Geschieht dies nicht, dann bleibt der Gerettete ein Kapitän Ahab, dessen Hass auf diese oder sogar alle Höhlen der Welt nicht mehr vergehen will. Alles wird er dann dafür tun, dass jede, aber auch jede Höhle verschlossen – am Besten verschüttet! – wird, damit diese Monster nie wieder einen Menschen vom Leben abtrennen können. Damit diese seelenlosen Monster nie wieder jemanden den Schmerz seiner Einsamkeit spüren lassen können!

Diesen nicht mehr zurücknehmbaren, auf ein bestimmtes „Objekt“ gerichteten Hass sehen wir beispielsweise auch in der Ausrottung des Wolfes und ganzer Ethnien. Wir sehen ihn in der Planierung der Welt, damit kein Fuß mehr ins Stolpern kommen kann, durch diese scheinbar bösartige uns so schlecht gesonnene Natur.

So bedarf der Überlebensinstinkt des Maßes. Die Reduzierung unseres Menschseins auf eine in Angst, Wut und Hass handelnde, seelenlose Materie darf nur die Ausnahme sein. Sie ist so fern der Mitte, dass es keine Ausgleich geben kann. Es herrscht eine fatale Schieflage, wenn sie zu lange anhält.

Wirkt also der Überlebensinstinkt, dann ist unser Pendel fast vollständig in der materiellen Wahrnehmung verankert. Wir spüren Einsamkeit und unsere Angst. Der Verstand übernimmt vollständig. Alles andere folgt daraus und sichert uns unser materielles Überleben. Das ist der Sinn des materiellen Konzeptes von Schmerz, Angst, Wut und Hass. Es ist ein für unser Überleben in bestimmten Situationen notwendiges Konzept. Aber es muss auch wieder vergehen und unser Pendel muss wieder in die Mitte ausschlagen, damit wir nicht mehr in Wut und nicht mehr in Hass und nicht mehr – so sehr – in Angst verharren. Die Wahrnehmung muss zurückkehren zur seelischen Wahrnehmung, seelischem Wissen, zu Vertrauen – und vielleicht sogar zu Demut.

Da das Böse in einem Menschen durch eine irreversibles Fehlen der seelischen Wahrnehmung erzeugt wird, steht dieser betroffene Mensch permanent im Bereich von Schmerz, Angst, Wut und – unterdrücktem – Hass. Er ist im permanenten Überlebensmodus. Er ist Materie im Kampf gegen Materie. Immer. Systematisch und mit entsprechend den Möglichkeiten angepassten Mitteln und Wegen, handelt er unter maximalem Einsatz des Verstandes, denn Angst, Wut und Hass sind dessen Domäne. …Vielleicht wird der Verstand durch dieses Dreigestirn auch erst erschaffen…

Weil dieser Mensch nicht seelisch wahrnehmen kann, ist Alles und Jeder für ihn eine tote und unbeseelte dunkle Höhle, die ihn verschlingen will. Jeder Mensch ist für ihn ein totes und seelenloses, ihn morden wollendes Monstrum, das es zu besiegen gilt – mit den Mitteln der Vernichtung und der Trennung. Der glühende Hass wird im ewigen Kampf dieses Menschen nicht offen sichtbar. Genau wie der Verschüttete in der Höhle muss er ihn unterdrücken, um seiner kalten Wut den Raum zum systematischen Handeln zu lassen. Ein Handeln, dass auf die Zerstörung oder Hintergehung von allem, was ihn vernichten will, abzielt. Der Hass zeigt sich offen erst ganz am Ende in seiner grauenvollen Fratze. Dann, wenn der Sieg gewiss ist. Dann wird noch einmal gebrüllt und gehöhnt. Und weil das Pendel so nahe am Tode sich befindet, kommt noch die Lust dazu. Und der Mensch geht auf im Bösen, er hasst und hasst, weil es ihm Lust bereitet und weil er nicht anders kann.

Dieser Hass ist absolut. Im Gegensatz dazu hasst der Hasser von Wölfen oder Höhlen oder Ethnien oder vielleicht sogar der ganzen Natur nur partiell. Er hasst nur aus einer bestimmten Angst heraus, von der das Pendel nicht in die Mitte zurückkehren kann.

Er kann aber vieles andere wahrhaftig lieben und Einheit empfinden, weil sein Seelensinn im Grunde funktioniert. Er erkennt die Beseeltheit seiner Familie, seiner Freunde und vieler anderer Aspekte der Welt ebenfalls. Er ist nur in bestimmten Punkten seelisch abgetrennt. Durch einen Schock vielleicht, der ihn nur genau in einem Punkt in seinem Hass hält. Oder durch die Einflüsterungen eines Anderen, die sein Pendel langsam aber sicher aus der Wahrnehmung der Einheit in die des Hasses hinein verschoben hat. Der zum Hass Verführte. Denn nichts glaubt unser Verstand lieber als Einflüsterungen, die jemanden von ihm trennen.

Der Mensch, dessen Hass absolut ist, der sich im „Bösen“ befindet, fühlt in Nichts und Niemandem – nicht einmal oder gerade nicht in sich Selbst – auch nur im Geringsten einen Alles mit Allem vereinenden beseelten Lebensfunken. Sein Hass ist absolut und sein Vernichtungswille ist es daraus folgend ebenfalls. Die Welt gehört für ihn vernichtet, weil sie für ihn nur eine einzige bestrafenswerte, seelenlose – und ihm gegenüber abgrundtief boshafte – Höhle ist, die nichts anderes will, als ihn in ihren Eingeweiden verrotten zu lassen. Eine permanente Gefahr. Genauso, wie der aus der Höhle Gerettete seinen Hass auf Höhlen nicht mehr los wird und seine Existenz ihrer Vernichtung verschreibt, damit von ihnen nie wieder eine solche Gefahr ausgehe, muss der absolut Hassende sein Leben der Vernichtung der gesamten Welt verschreiben, denn nur so kann er in seiner Wahrnehmung die Gefahr seiner eigenen Vernichtung bannen. Der absolute Hass. Beim gesellschaftlich Kontrollierten unterdrückt und versteckt. Beim Diktator, der ungestraft von der Gesellschaft walten kann, offen, grausam, lustvoll und brutal. Das ist der fehlgeleitete Überlebensinstinkt.

Niemals darf der Schmerz uns leiten. Unser Handeln erwächst aus dem angstlosen Wissen um unsere Geborgenheit im Sinn, um unsere Beseeltheit und um die ewige Einheit von allem. Wir handeln immer in Liebe zu allem und jedem. Es existiert keine innere Trennung. Niemals darf der Schmerz allein uns leiten.

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