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Das Äußere und das Innere von Bad Godesberg

An einem sonnigen und warmen Frühlingstag begleitete ich meine Frau zu einem Termin nach Bonn Bad Godesberg. Wir fanden dort direkt einen sehr schönen Park, in dem ich mir mit unserem Hund die Zeit vertreiben konnte, bis meine Frau uns in zwei Stunden wieder abholen wollte. Es waren bemerkenswerte zwei Stunden, in denen ich durch die Bewohner dieses Ortsteils einer mir damals eigenartig erscheinenden Behandlung ausgesetzt war.

Jeder dem ich begegnete, schaute mich entweder gar nicht oder wenn, dann ernst, fast unfreundlich, an. Selbst die Hundebesitzer, mit deren Hunden wir in Kontakt kamen, enthielten sich jeder Geste der Freundlichkeit, wie einem Lächeln oder einem direkten Blick. Sie waren augenscheinlich bestrebt, ihre Hunde schnellstmöglich zu sich zurückzurufen und einen gewissen Abstand zu uns zu erlangen. Kontakt zu vermeiden. Dabei haben die Tiere sich so gut verstanden! Die Rassehunde und unser Mischlingsmädchen. Ich war verwundert wegen dieser eigenartigen Eigenschaften der Bewohner Bad Godesbergs. Später zuhause stellte ich fest, wie blauäugig ich in diese Stadt gefahren war. Bonn war, wie ich nachlas, immer noch der Sitz mehrerer Bundesministerien und Bad Godesberg zu dem noch der ehemalige Diplomatensitz. Also alles in allem ein, sagen wir einmal, „gediegener“ Ort. Mit Tradition und Stil. Ich tauchte an jenem Tag dort auf mit ausgewaschener grüner Baseballkappe, schlabberiger brauner alter Jeans, Zottelbart und einem Hund den ich an den Resten einer dünnen roten ehemaligen Laufleine führte, die für den unbedarften Betrachter durchaus als Strick interpretiert werden konnte („Pennerstrick“, sagte daraufhin später eine Freundin aus München sarkastisch grinsend. Sie musste es wissen. München ist noch viel „gediegener“ als Bonn Bad Godesberg). Was also im Wald in der hintersten Provinz der Provinz modisch völlig in Ordnung war, erweckte an jenem schönen Frühlingstag in der Gediegenheit eines Diplomatenviertels umgehend den Eindruck eines „Subjektes“, von dem man bei Kontakt mindestens angeschnorrt, wenn nicht gleich der Handtasche beraubt werden würde. Manchmal ist die Sachlage ja wirklich klar, aber man ist dann doch einfach zu vernagelt oder naiv, um sofort darauf zu kommen. Ich erzählte diese Begebenheit belustigt unter Bekannten und zollte den reservierten Bonnern vollstes Verständnis für ihre Reaktion auf mein Erscheinungsbild. Wie ich es fast erwartet hatte, wurde sofort eine Tirade der Empörung über die armen Bonner ausgeschüttet. Wie blasiert das doch sei! Immer alles nach Äußerlichkeiten zu beurteilen! Städte und Begebenheiten wurden heraus gekramt, in denen meinen Bekannten ebenfalls Ähnliches widerfahren sei. Beispielsweise als man mit seinem Sohn, einem zwei Meter Hünen mit Rastafrisur bis zum Gürtel, unterwegs gewesen sei. Wie man da von den Leuten angestarrt worden ist!

Ich empfand nun deren Haltung als blasiert. Es störte mich diese vorhersehbare und reflexartige „Schuld-Suche“, während ich eigentlich nur eine amüsante Geschichte über meine Naivität erzählen wollte. Völlig wertfrei und ohne Schuldige. Einfach, weil sie amüsant ist und so stehen bleiben soll, wie sie da steht. Erfasst durch die Seele und nicht durch die Analyse des Verstandes. Leider ist es oft nicht so. Habe ich beim Geschichten-Erzählen Glück, dann ergießt sich die Tirade auf die anderen Protagonisten meiner Geschichten. Habe ich aber Pech dann schallt mir ein belehrendes „Daaa musst Du aber bei Dir selber schauen!“ entgegen, obwohl ich mich gar nicht beklagt habe oder gar jemanden anderen als Schuldigen für irgendetwas an die Wand gestellt habe. Manchmal habe ich gar keine Lust mehr, etwas zu erzählen, weil meine Worte von den Zuhörern direkt in eine psychologische Schuld-Schiene gelenkt werden, auf die ich absolut nicht hinaus wollte und die den Blick auf das, was für mich an der Geschichte wesentlich war, verstellt.

Schuld ist, wie bereits gesagt, ein Konstrukt des Verstandes und des Raumes und der Zeit. Sie hat nichts mit ewigen Wahrheiten zu tun. Das nur nebenbei. Da wollte ich mich jetzt doch einmal drüber beklagen.

Auf die obige Tirade erwidernd, merkte ich an, dass ich mich ebenfalls von „irritiertem“ Verhalten nicht frei sprechen könne. Kommen zehn „weiße“ Deutsche (oder Nichtdeutsche) an mir vorbei, dann gehe ich vorüber und mache mir nicht den geringsten Gedanken. Ich bemerke sie gar nicht. Kommt mir ein „farbiger“ Deutscher oder Nichtdeutscher entgegen, dann fällt er mir auf und manchmal verhalte ich mich dann anders. Nicht reserviert oder abweisend. Anders eben. Ich frage mich plötzlich: Schaue ich ihn an, starre ich ihn dann nicht an wie etwas Außergewöhnliches? Schaue ich ihn nicht an, erwecke ich dann nicht den Eindruck des Ignorierens? Es kommt alles aus der Auffälligkeit heraus. Der Verstand setzt ein und hat kein Konzept. Er hängt fest in seinen moralischen Konstrukten und die Natürlichkeit geht verloren. Ist so. Ist ein Reflex. Es ist genau dieser eine Moment in der Begegnung mit dem Fremden. Ist man im Gespräch mit diesem Menschen, dann existieren die Fragen nicht mehr. Dann ist man auf der gewohnten Ebene.

Im Gegensatz zum beispielhaften „farbigen“ Deutschen oder Nichtdeutschen hätte ich diese Komplikationen mit meinen Mitmenschen in Bonn einfach durch eine angemessene Kleiderwahl verhindern können. – Großes Staunen: „Wie? Du hättest dann etwas anderes angezogen, wenn Du das vorher gewusst hättest?“ ‚Du hättest Dich angepasst? Deine Identität aufgegeben? Dich untergeordnet unter das, was diese blasierten Diplomaten-Beamten von Dir verlangen? Du hättest nicht demonstriert, wie wenig Dir Äußerlichkeiten bedeuten und keine Stellung bezogen gegen diesen ganzen Armani-Mist? Dich verleugnet und darauf verzichtet, zu zeigen, wer Du bist und wie Du zu dem stehst, was Du bist und nicht auf Deine Unabhängigkeit gepocht und ihnen die Grenzen aufgezeigt???‘ höre ich als unausgesprochenen Untertext heraus. Geschichten folgen, in denen man lachend dazu stand, dass man gerade etwas eigenartig aussah und die Leute drumherum befremdet waren. Der Untertext, den ich höre: ‚Das könnte mir nicht passieren. Da lache ich doch dann drüber. Keiner muss mich anschauen, wenn er es nicht will. Niemand muss mit mir sprechen, wenn es ihm nicht passt. Die brauche ich dann nicht. Ich bleibe ich! So musst Du auf so etwas reagieren. Stellung behalten und Dich nicht verunsichern lassen. Kante geben. Und nicht nachgeben.‘ – Wie bereits gesagt, hatte ich diese Reaktion, die über das eigene Ich (und dessen Grenzen, die verteidigt werden müssen) nicht hinaus kann, irgendwie erwartet. Ich stelle mich ein wenig dumm und sage scheinbar überrascht: „Sicher. Ich glaube, dass die Begegnungen an jenem Nachmittag für mich und die Menschen, denen ich begegnet bin, angenehmer verlaufen wären, hätte ich mir vorher ein Hemd angezogen und mir vielleicht noch die Haare schneiden lassen. Hätte ich einen Termin in einem Bonner Ministerium und müsste dort etwas erreichen, dann würde ich dort auch im Anzug auftauchen und nicht so, wie ich jetzt hier vor Euch sitze. Es ist das Territorium der Bundesbeamten. Es ist deren Hausrecht. Und es sind deren Regeln. Mein Äußeres ihren Regeln anzupassen, das ist doch kein Problem. Denke ich jetzt darüber nach, so komme ich zu dem Schluss, dass mein Äußeres mich gar nicht definiert. Ich laufe so, wie ich jetzt rumlaufe, nicht rum, weil ich damit irgendein Statement abgeben will. Ich laufe so rum, weil es praktisch und bequem ist. Weil jeder Stoff, der nicht grob und nicht wenigstens etwas erdfaben ist, innerhalb von Sekunden in diesem Umfeld hier dreckig sein würde. Wie oft habe ich mir schon eine „gute“ Hose 30 Sekunden nach dem Anziehen so verdreckt, dass ich mich direkt wieder umziehen konnte. Hier sind es eben die Regeln des Waldes, die mir die Kleidung diktieren. Denke ich weiter nach, dann bin ich mir gar nicht sicher, ob ich mir jemals Gedanken darüber gemacht habe, ob ich die Kleidung, die ich trage, überhaupt tragen will, ob sie mir steht oder überhaupt gefällt. Ob ich mir selbst gefalle oder ob die Frage des Selbstgefallens überhaupt irgend etwas bedeutet. Im Inneren stark bleiben, das erscheint mir wichtig. Im Inneren wirken. Das ist von Bedeutung und nicht das Äußere. Wenn passende Kleidung das Wirken im Inneren erleichtert, dann sei es so.“ – Als meine Frau und ich auf jener Reise später noch gemeinsam am Rhein spazieren gegangen waren, milderte ihre „angemessene“ äußere Erscheinung den Eindruck, den ich vor den Bad Godesbergern gemacht hatte, ein wenig ab. Wir bekamen dadurch die Möglichkeit, wie „normalerweise“ üblich, mit anderen Hundebesitzern ins Gespräch zu kommen. Und wenn ich mit ihnen sprach, dann waren sie nicht weniger reserviert, aber ihr Blick wurde forschend, als suchten sie etwas in meinem Gesicht. Als könnten sie meinen Anblick und meine Worte nicht in Einklang bringen. Das ist Wirken im Inneren. Und das ist einfacher, wenn einem das Äußere egal ist. Und egal sein heißt nicht, die Weltmenschen vor den Kopf zu stoßen und durch seine Kleidung zu belehren, zu provozieren oder sich zu überhöhen, sondern sowohl den Jutesack als auch den Armani-Anzug als gleiches anzusehen. Und beides tragen zu können, wenn es hilft, im Inneren seine Kraft zu erhalten und den Menschen zu dienen. Das ist dann der Weg, der über die eigenen Grenzen hinaus geht. Denn die Grenzen sind nur Außen. In unserem Inneren sind wir grenzen-los.

Niemals darf der Schmerz uns leiten. Unser Handeln erwächst aus dem angstlosen Wissen um unsere Geborgenheit im Sinn, um unsere Beseeltheit und um die ewige Einheit von allem. Wir handeln immer in Liebe zu allem und jedem. Es existiert keine innere Trennung. Niemals darf der Schmerz allein uns leiten.

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