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An seinem Selbst vorbei fallen

Ich bin mir sehr sicher, dass jeder Mensch seinen Seelen-Sinn wieder wahrnehmen würde, entließe man ihn nur eine gewisse Zeit unserer geschäftigen Verstandeswelt. Es muss nicht gleich die Wüste sein. Ich schlage die einsame Hütte in den Bergen oder im Wald vor. Dort sollte der Mensch verweilen. Für 4 Wochen, 8 Wochen. Vielleicht auch 16 Wochen. Die Lebensbedingungen müssten nicht asketisch sein, allerdings keine Medien und kein Besuch.

Und wenn dann alle Waldwege erkundet, das Haus bis zum letzten Nagel untersucht, alle schmackhaften Ein-Personen-Gerichte gekocht und alles, was man einmal aufschreiben wollte, aufgeschrieben ist, dann sitzt der Mensch, mit gebeugtem Rücken und die Hände im Schoß verschränkt, auf seinem Holzstuhl, schaut ins Leere und hat nichts mehr zu tun. Vielleicht dämmert es auch gerade und alles wird in ein unwirkliches Zwielicht getaucht. Die bekannte Realität löst sich auf. Alles fällt ab und er bemerkt, wie er Namenloses wahrnimmt… und Angst beschleicht ihn, vor dem, was nun kommen darf. Aber der Verstand handelt schnell und füllt mit Denken und Grübeln die Lücke, die durch das Nicht-Handeln und die Stille entstanden ist. Er tut das, was seine Spezialität ist: Er kramt alte Dinge von gestern hervor und konstruiert uns damit die Probleme von heute und morgen. Als wenn uns das definieren würde. Als wenn wir nicht unabhängig von Geschehenem und Kommendem existieren würden!

Eine Bekannte sagte einmal zu mir: „So einsam wie Du könnte ich nicht leben. Ich hätte Angst, auf mich selbst zurück zu fallen.“

Ich hatte darüber noch nie nachgedacht und tat es daraufhin. Und nach einiger Zeit des Nachdenkens sagte ich zu ihr: „So bedeutsam finde ich mich nicht, dass ich auf mich selbst zurück fallen könnte. Ich spüre es eher so: Ich falle an mir vorbei und dann noch viel weiter. Und dort entdecke ich das große Geheimnis.“

Wie der Mensch, der nun vom Grübeln des Verstandes überwältigt und dadurch vom wirklichen Erkennen abgehalten wird, diese Phase überwinden kann, das weiß ich nicht. Zu erkennen, wie unbedeutend die Geschehnisse von gestern, heute und morgen für unser Sein eigentlich sind, zu erkennen, wie bedeutungslos unser Sorgen doch im Angesicht unserer Sterblichkeit – unserer Heimkehr – ist, hilft vielleicht dabei, nicht bei sich selbst hängen zu bleiben, sondern weiter zu fallen und dort den wahren unaussprechlichen Sinn zu finden.

Und dann von dort zurückzukehren. Vorbei an unserem Selbst, das verwundert innehält und aufschaut aus seinem ewigen Ringen mit dem sorgenvollen Verstand, ob des klaren Lichtes des unaussprechlichen Wissens, das Dich umgibt. Zurück in das Hier und Jetzt…

Ich weiß nicht, wie der Mensch die Phase des grübelnden Verstandes überwinden kann. Vielleicht ist es wirklich die Zeit. Die Wochen, von denen ich Anfangs sprach, die den Sorgenbereiter zermürben und zwingen, Ruhe zu geben.

Ich weiß. So viel Jahresurlaub hat niemand. Vielleicht reichen die Wochen aber auch gar nicht aus. Vielleicht geht es nur ohne Kompromiss. Vielleicht geht es nicht, wenn man sich aus seinem materiellen Leben einige Wochen herausschneidet, um danach wieder dort einzutauchen. Vielleicht geht es nur, wenn man das ganze Leben auch auf das zweite, auf das seelische Bein stellt. Auf einem Bein kann man bekanntlich nicht stehen.

Niemals darf der Schmerz uns leiten. Unser Handeln erwächst aus dem angstlosen Wissen um unsere Geborgenheit im Sinn, um unsere Beseeltheit und um die ewige Einheit von allem. Wir handeln immer in Liebe zu allem und jedem. Es existiert keine innere Trennung. Niemals darf der Schmerz allein uns leiten.

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