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Das Unbewusste oder das Chaos – eine Frage der Zeit

Es gibt da eine kleine daoistische Geschichte über zwei Fürsten, die von einem Dritten immer sehr gastfreundlich in dessen Reich aufgenommen worden sind. Der Dritte hatte aber keine Sinnesorgane. So dachten die beiden Fürsten, sie täten dem freundlichen Fürsten einen Gefallen, wenn sie ihm zu Sinneswahrnehmungen verhelfen würden. So bohrten sie dem Fürsten jeden Tag ein Loch. Und am siebenten Tag (nachdem er sieben Löcher, also Ohren, Nasenlöcher, Mund und Augen, hatte) war der freundliche Fürst tot….

Der freundliche Fürst hatte auch einen Namen. Ich habe ihn mit Bedacht noch nicht genannt. Der Name wird aus dem Chinesischen sehr unterschiedlich übersetzt. Diese Geschichte wurde beispielsweise in einer wissenschaftlichen Abhandlung der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts erwähnt. Der Wissenschaftler übersetzte den Namen des freundlichen Fürsten mit „Chaos“. Ein Mystiker des späten neunzehnten Jahrhunderts andererseits übersetzte den Namen des Fürsten mit „der Unbewusste“. An diesen beiden unterschiedlichen Wahrnehmungen durch Wissenschaft und Mystik wird ein weiteres Mal deutlich, wie weit die Wissenschaft, der trennende, materielle Aspekt unserer Welt, von der seelischen Wahrnehmung in seiner Sicht auf die Welt entfernt ist. Aus der Sicht des Wissenschaftlers eines Jahrzehnts des Technik- und Wissenschaftsglaubens, einer Zeit, in der die Frauen noch ihren Mann fragen mussten, ob sie arbeiten oder den Führerschein machen durften, einer Zeit der ungeschminkten und auch dogmatisch als völlig in Ordnung angesehenen männlichen Vormachtstellung und Diskriminierung des Weiblichen, haben die beiden Fürsten das „Chaos“ besiegt, indem Sie es durch das Ego – das Männliche – ersetzten und so das „Durcheinander“ der „ungeordneten“ Natur abschafften – es töteten. Das rationale Männliche tötet – mit Recht – das „chaotische“ Weibliche.

Der Mystiker sieht in der Geschichte, wie das Unbewusste durch das Ego ausgelöscht wird. Alles in bester Absicht. Aber trotzdem wird es getötet und nur die Wahrnehmungen des Verstandes bleiben übrig. Mit der einseitigen Sichtweise, die durch die beiden so gut meinenden Fürsten dargestellt wird.

Das „Chaos“ oder das „Unbewusste“. Ein interessantes Begriffspaar. Als Chaos wird das stigmatisiert, was der Verstand nicht erfassen kann. Das ist das einzige Kriterium. Und die einzige zur Verfügung stehende Lösung ist der Tod. Der Tod des Chaos – oder eben des Unbewussten. Für den Wissenschaftler ist alles, was nicht über die fünf Sinne rationalisierbar ist, Chaos und gehört abgeschafft. Diesem Ziel widmet er ja auch durch seine Arbeit sein Leben. Wie sollte er eine solche Geschichte dann auch anders verstehen können. Das Unbewusste hat für ihn keine Existenzberechtigung. Es muss bewusst gemacht werden. Sonst ist die Welt nicht in Ordnung… Wenn es etwas gibt, was das Ego nicht erfassen kann, dann ist die Welt noch nicht in Ordnung.

Aus seelischer Sicht vermittelt die Geschichte den Weg. Und auch, wie er falsch begangen werden kann. Das Ego begibt sich als Gast in das Reich der Seele und gemeinsam ergeben die drei Fürsten ein gemeinsames Ganzes, einen großen harmonischen Verbund von drei Reichen. Die beiden Reiche des Egos (es sind vielleicht zwei und nicht eines, um das dem Ego innewohnende Prinzip der Trennung herauszustellen) und der eine Fürst der Einheit. Die „Ego-Fürsten“ erkennen den Zustand der Harmonie aber nicht. Sie wollen wieder alles „verbessern“. Es reicht ihnen so nicht, obwohl alles bestens ist, denn Ihrer Ansicht nach ist alles nur dann gut, wenn alles Ego ist. Alles bewusst ist und nur noch die fünf Sinne Geltung haben. Also haben sie den freundlichen Fürsten aus seiner tiefen Ruhe und Dunkelheit und Stille herausgeholt und so die Welt fahrlässig und in bester naiver Ego-Art-und-Weise des Unbewussten entledigt. Und wahrscheinlich kämpfen sie jetzt bitterlich um dessen Reich…

Niemals darf der Schmerz uns leiten. Unser Handeln erwächst aus dem angstlosen Wissen um unsere Geborgenheit im Sinn, um unsere Beseeltheit und um die ewige Einheit von allem. Wir handeln immer in Liebe zu allem und jedem. Es existiert keine innere Trennung. Niemals darf der Schmerz allein uns leiten.

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