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Sich ziellos geführt fühlen

Sich ziellos vorkommen… Ziele haben – – – was ist das eigentlich? Haben Pflanzen Ziele? Sie wachsen einfach im Rhythmus des Jahres, Vermehren sich, bleiben für einen Sommer – oder 5000 Jahre. Sie folgen ihrer Natur. Haben sie ein Ziel, das sie verfolgen? Sie wachsen, vermehren und schützen sich. Sie überwuchern die anderen, um besser wachsen und sich vermehren zu können. Aber sind das Ziele in dem Sinne und von der Art, wie wir sie als Ziele verstehen würden? Planungen? Folgen die Pflanzen nicht einfach den Kreisläufen von Zunahme und Abnahme? Den Kreisläufen von Wachsen und Vergehen? Wie langfristig sind ihre vermeintlichen Ziele? Den Standort haben sie sich nicht ausgesucht. Haben sie das Ziel, 5000 Jahre zu überdauern – oder das, im Herbst zu sterben? Oder folgen sie einfach ihrer Natur? Von Minute zu Minute ihrer Existenz. Und bei den Tieren: Ist nicht das Höchstmaß an scheinbar langfristiger gezielter Planung das Sammeln von Vorräten für den Winter? Plant in der Tierwelt einer weiter als einen Jahreszeitenzyklus? Und ist das dann Planung oder ist es auch nur ein Folgen der eigenen Natur, die das Eichhörnchen neben fressen, vermehren, seinen Ort behaupten und Junge großziehen dazu bringt, Nahrung für den Winter zu sammeln und zu verstecken? Ist es selbst bei dieser Tätigkeit auch nur in der Minute und dann wieder in der nächsten Minute seiner Existenz? Sammeln – Sammeln – Nicht sammeln – Sammeln. Tick – Tick – Tick… Und auch im Winter, wenn es die Nüsse wieder sucht, ist es dann auch nur in der Minute und der nächsten Minute seiner Existenz? Suchen – Suchen – Nicht suchen – Schauen – Suchen. Tick – Tick – Tick. Ein Moment folgt dem anderen. Geführt von der eigenen Natur. Ist dieses Wesen dann nicht eigentlich auch ziellos in dem Sinne und der Art, wie wir uns ziellos fühlen, wenn wir uns vorwerfen, wir würden nur in den Tag hinein leben? Wenn wir uns vorwerfen, wir hätten keine Ziele für unser Leben und würden uns treiben lassen. Vielleicht lassen wir uns nicht treiben und dieses Wort wird nur in dieser Redewendung genutzt, weil „sich treiben lassen“ Kontrollverlust und Selbstaufgabe beinhaltet womit uns der Verstand ein schlechtes Gefühl verursachen kann. Ein ungutes Gefühl, das uns dann zwingt, wieder in seine Arme zurück zu kehren, denn selbstverursachtes (willentlich!) unkontrolliertes sich treiben lassen ist höchstgradig unerwünscht und aufs schwerste sozial sanktioniert. Eine bedeutungsschwere Redewendung, die uns das Weitergehen und Weiterfühlen und Weiterwahrnehmen auf diesem Wege im Keim erstickt. Dieser Weg ist so tabuisiert, dass wir beim leisesten Verdacht des „sich treiben Lassens“ erschrocken erstarren, umkehren und uns ertappt umblicken, ob auch ja keiner gesehen hat, wie nahe wir uns dieser verbotenen Grenze genähert hatten. In bestimmten Diktaturen hieß das, was uns da beinahe passiert wäre, „Republikflucht“. Die Grenze eigenmächtig überschreiten und sich dem Zwang und der Kontrolle – dem Diktat – entziehen. In den bestimmten Diktaturen wurden solche Versuche hart bestraft. Denn, fängt einer an… wohin führt das dann?

Vielleicht könnten wir im Hinblick auf unsere Mitgeschöpfe, die Pflanzen und die Tiere, „sich Treiben lassen“ auch ersetzen durch sich führen lassen“. Vielleicht sind wir eigentlich Geführte, die ihrer eigenen Natur folgen könnten, wenn ihnen dieses Geführt werden (der Kontrollverlust des Verstandes, des Ichs, des Individuums) nicht als etwas Negatives und schnellstmöglich Abzustellendes suggeriert würde. Abzustellen am besten dadurch, dass wir uns und unseren Mitmenschen eine rationale Lebensplanung von Heute bis zu unserem Dahinscheiden vorlegen. Beruf, Karriere, Haus, Familie, Beziehungen, Rente, Arbeitslosenversicherung, erweiterte private Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung, Sport für die Gesundheit, Bildung durch Reisen, individueller Ausdruck durch Besitz, ToDo-Liste der Renovierungen am Haus, der Orte, die man noch zu sehen und der Dinge, die man noch zu tun wünscht. Planung des Jahresurlaubs, des eigenen Begräbnisses und der vorherigen Unterbringung. Wird man gefragt, dann hat man immer eine klare (zielgerichtete und pfeilschnelle) Antwort parat und erntet wohlwollendes Nicken. Recht so. Der hat alles im Griff. Der macht sich Gedanken und hat sein Leben geplant. Dem kann nichts passieren! Der hat Ziele und weiß, wie er sie erreicht. – Na ja. Jeder weiß, dass das eigentlich Unsinn ist. Gestern habe ich einen Anruf bekommen und erfahren, dass ein alter Freund unerwartet verstorben ist. Er war fast auf den Monat so alt wie ich. Unerwartet… Manchmal hört man auch, dass Banken Kredite kündigen, dass Unternehmen Jobs kündigen, dass Lebenspartner Beziehungen kündigen, dass Kinder die Eltern nicht mehr sprechen wollen, dass Ziegelsteine auf Köpfe fallen, dass Rentenkassen geplündert sind, dass sich bei Zusatzrentenversicherungen verrechnet wurde, dass Versicherungen genau den Schaden, den man hat, nicht abdecken, ach was weiß ich noch alles. Unser System bietet uns diese Unsicherheiten und noch viele mehr. Aber es verlangt von uns langfristigste Planungen innerhalb dieser Unsicherheiten als Huldigung und Bauchpinselei unseres Verstandes. Es ist eine Art Gottesdienst, den wir damit verrichten. Oh! Ich darf mal wieder? Wie schmeichelhaft! Na dann mal los! Ich plane für Dich alles! Es gibt nichts, was ich nicht könnte! Sagt dann der Verstand und tut so bescheiden und überrascht und harmlos.

Unsere Gesellschaft ist so gestrickt, dass eine Existenz im einfachen Sein nicht mehr möglich ist. Es muss immer etwas Langfristiges bedacht werden. Und das, was bedacht werden muss, ist zu allem Überfluss (vielleicht auch allein schon dadurch, dass es „langfristig“ ist) auch noch fern unserer natürlichen Existenz. So ist es uns in unserer Gesellschaft nicht möglich, der Begrenztheit unserer materiellen Wahrnehmungen und Möglichkeiten Tribut zu zollen, wie es Pflanzen und Tiere tun, indem wir uns mit den kurzfristigen Dingen befassen (die wir in unserer Kurzsichtigkeit auf materieller Ebene zu erfassen überhaupt nur in der Lage sind), mit den einzelnen Kreisläufen, die wir wenigstens überschauen können, alleine weil es eben Kreisläufe sind, die immer wieder an ihren Anfang zurückkehren. Wie das Jahr. Wir sind gezwungen, über unseren Horizont hinaus zu planen. Und gegen den Unsinn, den wir dann verzapfen, müssen wir uns dann versichern und verantworten und uns den Rest unseres Lebens damit überfordern, diese langfristigen Konstrukte am Zusammenstürzen zu hindern… oder den Scherbenhaufen bis zu unserem Tode zusammen zu fegen…

Meine Wahrnehmung ist, dass es den aktuellen Moment gibt, weil er es ist, in dem wir körperlich sein sollen, in dem wir unsere materielle Existenz und unseren Fokus finden. Als materielle Wesen sind wir mit unserem Körper quasi in diesen aktuellen Moment hinein gegossen worden. Ewigkeit und Unendlichkeit sind im Körperlichen nicht erkennbar. So ist das Vergangene dem Körper (der Materie, dem Verstand) nicht zugänglich und das Zukünftige auch nicht. Mehr noch: Materie taucht somit aus dem seelischen Aspekt der Vergangenheit auf, existiert im aktuellen Moment und geht in den seelischen Aspekt der Zukunft über. Materie ist also nur eine andere Form der seelischen Existenz, die unseren fünf Sinnen und unserem Verstand genau und nur im aktuellen Moment wahrnehmbar wird. Vergangenheit und Zukunft sind Sache unserer seelischen Existenz und dies ist dann auch die Ebene, auf der bezüglich Vergangenem oder Zukünftigem „gehandelt“ werden muss.

Sind wir mit unserer Existenz als „materieller“ Mensch im Moment, dann sind wir da, wo wir mit unseren fünf Sinnen hingehören. Nur sieht das unser Verstand, der alles, inklusive Vergangenheit und Zukunft, zu seinem Kontrollbereich zählt, nicht so. Für ihn ist das „ziellos“. Für ihn ist das „sich treiben lassen“. Kontrollverlust. Selbstaufgabe. Dass die „Ziele“ bezüglich Vergangenheit und Zukunft, woanders bearbeitet werden, ist ihm nicht klar (oder nicht genehm). Dass die Führung bezüglich der Ewigkeit und Unendlichkeit – denn nichts anderes ist es, was gemeinhin als Vergangenheit und Zukunft bezeichnet wird – nicht in seiner Hand liegen kann, ist ihm nicht klar (oder nicht akzeptabel). So sind wir für ihn gerade dann ziellos, wenn wir die Aufgabenplanung und die Verantwortung für die Zielerreichung eigentlich richtig verteilen.

Nun unterscheidet uns genau diese Erkenntnisfähigkeit von den Tieren und Pflanzen. Tiere und Pflanzen handeln im Moment und die Führung ihrer Existenz liegt im Jenseitigen. Sie sind sich dessen nicht bewusst. Sie sind. Schlicht und ergreifend.

Wir als Menschen haben die Fähigkeit, diese Aspekte bewusst zu erfahren. Wir haben die Fähigkeit, die materiellen Phänomene und auch die seelischen Phänomene unserer Existenz wahrzunehmen. Wir können trennen und unterscheiden. So ist unser Weg noch lange nicht zu Ende. Unser Verstand – das Werkzeug dieser Bewusstwerdung, das Werkzeug, das es uns erst ermöglicht, Wahrnehmung überhaupt zu erfahren – ja, sie eigentlich erst entstehen zu lassen. Die Welt erst entstehen zu lassen – verharrt noch in einseitiger materieller Erkenntnis und wird so immer fehlgehen. Erst, wenn er sich auch der seelischen Erkenntnis öffnet, kann er wirklich erkennen. Erst, wenn er zum Getrenntsein noch das Vereintsein hinzufügt, sind wir ganz. Dann hat sich der Kreislauf wieder geschlossen und wir sind nach der Vertreibung wieder im Paradies angekommen. Einen Schritt weiter dann. Diesmal gereift… in unserer Erkenntnis, die nun ganz ist.

Niemals darf der Schmerz uns leiten. Unser Handeln erwächst aus dem angstlosen Wissen um unsere Geborgenheit im Sinn, um unsere Beseeltheit und um die ewige Einheit von allem. Wir handeln immer in Liebe zu allem und jedem. Es existiert keine innere Trennung. Niemals darf der Schmerz allein uns leiten.

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