Irgendwann – ist schon etwas her –, so um den Jahreswechsel 2020/21 muss es gewesen sein, da habe ich einmal eine Frau getroffen. Auf einem Hundespaziergang. Natürlich. Sie ging hinter uns und meine Hunde gingen nicht weiter, weil sie gerne auf sie warten und ihren Hund kennenlernen wollten.
Sie näherte sich also. Vielleicht Ende fünfzig, eher klein, vital, mit halblangen etwas ungebändigten dunklen Haaren. Und einem etwas misstrauischen Blick. „Können,… die Hunde mal…?“ fragte sie etwas reserviert, als sie zu uns verdächtig Wartenden aufgeschlossen hatte. „Klar! Darum stehen wir hier rum!“ sage ich witzelnd.
Es fallen ein paar übliche Sätze zu den Hunden und als diese dann fertig miteinander sind, setzen wir alle gemeinsam unseren Weg über den schnurgeraden Gehweg am gebändigten Stadtbach fort.
Sie lebe mit ihrer Familie seit zwanzig Jahren auf Kuba, erzählt sie. Hätten dort eine kleine Pension. Hier sei sie jetzt, um ihre Eltern zu besuchen. Es wäre auch deren Hund, den sie hier spazieren führe. Ihre eigenen Hunde würden ihr sehr fehlen, hier in Deutschland. Und vor allem: Die Menschen wären hier alle so unfreundlich. Niemand grüßt. Alle missmutig. Und jeder für sich. Auf Kuba sei das anders. Die Insel sei wirtschaftlich sehr schwer durch Corona betroffen. Die Leute wüssten heute nicht, wie es morgen weitergehen würde, was sie am nächsten Tag essen sollten. Aber trotzdem: Wenn einer wüsste, wo es etwas zu essen gäbe, dann sagte er es den anderen. Alle seien trotz der Armut und des Mangels freundlich und hilfsbereit. Positiv. Nur mit den Hunden sei es schwierig. Für die gäb fast gar nichts zu fressen.
In meiner Naivität sage ich: „Wir haben auch öfters Reste vom Schlachter für unsere Hunde gekauft. Das ging ganz gut.“ Sie lacht. „Da bleibt auf Kuba nichts übrig! Das wird alles gegessen. Und was übrig bleibt, das kommt in die Frikadellen. Also, wenn Sie mal auf Kuba sind: Essen Sie keine Frikadellen.“ ‚Mannomann. So sieht das da aus. Es ist einfach nichts da. Gar nichts…‘, denke ich. Ein wenig beschämt.
„Ich bin froh, wenn ich wieder zurück bin.“ sagt sie, während wir nebeneinander hergehen. „Diese unfreundliche und distanzierte Kälte der Leute hier, die setzt mir hier wirklich zu.“ „Jeder hat hier alles.“ sage ich. „Da denkt jeder, er bräuchte den anderen nicht. Oder hat Angst, dass ihm jemand etwas wegnimmt. Aber es sind nicht alle so. Bei weitem nicht. In der Stadt vielleicht noch auffälliger als auf dem Land. Viele haben Stress und Unmengen an Sorgen. Da können sie nur sich selbst betrachten.“ sage ich zur Verteidigung. ‚Aber es ist die Grundstimmung, die diese Frau aus Kuba erfasst hast…‘, denke ich.
Wir kommen an eine Wegkreuzung und unser kurzer gemeinsamer Weg trennt sich wieder. Wir verabschieden uns. Ich wünsche ihr eine gute Rückreise und noch eine schöne Zeit bei ihren Eltern. „In zwei Wochen bin ich wieder zurück. Ich freue mich schon drauf. Fahren Sie mal nach Kuba. Ist schön da. Die Menschen dort sind sehr freundlich.“ „Aber dann keine Frikadellen!“ scherze ich noch. „Nein, keine Frikadellen. Auf Wiedersehen.“ sagt sie noch und jeder geht weiter seinen Weg. – ‚Satt und sicher.‘ denke ich, während ich weiter gehe und über dieses unerwartete Gespräch nachsinne. ‚Das ist nicht alles. Nicht einmal das Ausschlaggebende. Das Leben darauf zu reduzieren, heißt, nicht zu leben, sondern nur zu überleben… Diese Frau will lieber in die Armut und Unsicherheit in Gemeinschaft mit herzlichen Menschen zurück, als satt und sicher hier in der Gefühlskälte zu sitzen… Das ist eine deutliche Aussage… Das ist ein sprichwörtlich lebender Beweis. – – – Aber mit den Frikadellen, da sieht es bei uns in Deutschland bestimmt nicht anders aus als auf Kuba… kommt auch alles rein.‘ denke ich.
Wie gesagt, ist schon etwas her. Aber heute morgen fiel mir die Frau aus Kuba wieder ein. Und ich dachte: Schreibs mal auf. War eine nette Begegnung. Und eine deutliche Aussage… Nicht nur eine Aussage eben. Eine gelebte Aussage. Ein Wahrheit.