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Einleitung

Ich rede im Allgemeinen nicht viel von mir, aber es scheint wichtig zu sein, meinen Weg an dieser Stelle als Skizze darzulegen. Da es wichtig erscheint, tue ich es:

Vor zehn Jahren hat mich ein Ruf ereilt. Ein Ruf, der mein Leben veränderte. Ich bin versucht, zu sagen dass er mein Leben „grundlegend“ veränderte. Man benutzt diesen Ausdruck gerne, aber bei genauer Betrachtung stimmt er hier nicht. Nicht bei mir.

Das, was sich zu jener Zeit veränderte, war nicht mein Leben selbst, sondern nur die Art, wie mein Bewusstsein dieses Leben und die Welt wahrnahm und mit diesen Wahrnehmungen nach außen trat. Es änderte sich nur das äußere Erscheinungsbild meines Lebens. Aber das eben radikal. Die seelische Basis meines Lebens aber, in der wir alle geborgen sind und die uns immer trägt und nährt, unterlag nie irgendeiner Veränderung. Sie blieb gleich, vom Zeitpunkt meiner Geburt bis zum heutigen Tage. Das weiß ich jetzt.

So war der Ruf, den ich erhielt – denn es war ein seelischer – nicht der eines Fremden, der mich von fernem Ufer zu sich herüber in neue und unbekannte Sphären rief, sondern der eines alten Freundes, der immer mein Weggenosse war und den ich nur im Laufe der Jahre meines Weges in unserer materialistisch-kapitalistischen Gesellschaft weiter und weiter hinter mir zurückgelassen hatte. Er fand es damals an der Zeit, mich freundschaftlich aufzufordern, ein wenig langsamer zu gehen und mich wieder seinem Rhythmus anzuschließen, dem Rhythmus des Schreitens, der einmal unser gemeinsamer gewesen ist. So war es ein alter Freund, der mir – zur rechten Zeit – so unaufgefordert und unerwartet – half, ewiges, seelisches Wissen wieder zu erinnern und nicht nur vorwärts nach verschleierten ominösen Zielen zu starren, so wie wir es gewohnt sind, wenn der Verstand mit seinen fünf Sinnen in unserem Bewusstsein das Kommando hat.

Er, der immer da war und der immer ein wachendes Auge auf mich hatte, wenn ich stolperte und im Dunkeln tastete, schreitet nun wieder – bewusst – neben mir. Wir halten uns bei unseren Händen und indem ich die kraftvolle und ruhende Wärme seiner Hand spüre, weiß ich, dass es keine Ziele gibt, die es zu verfolgen gäbe. Spüre ich die Wärme der Hand dieses Freundes, dann ist damit alles erreicht und alles ist im Sinn. Er ist das Ziel und halte ich seine Hand, dann gibt es nichts mehr, was ich mir noch wünschen könnte. Dieser Freund ist mir die Mutter, der Vater, die Schwester, der Bruder und der Sohn und die Tochter. Er ist die seelische Familie. Vor Zehn Jahren bin ich nach Hause zurück gekehrt und ich habe vor Glück lange geweint. Aber genauso wenig, wie ich meinen Freund je wirklich verloren hatte, hatte ich dieses Zuhause jemals wirklich verlassen. Als Kind waren dieses seelische Zuhause und die irdische – materielle – Existenz noch eins. Ich erinnere mich wieder, wie mich abends, im Zwielicht, freundliche Wesen an meinem Bett besuchten und schloss ich damals die Augen, dann schaukelte und schwang alles und ich fiel tief in bodenlose Tunnel und begegnete Masken und Tieren und Menschen. Manchmal unheimlich und manchmal voller Verstehen. So allein ich in meiner irdischen Existenz vielleicht war – denn meine Eltern kämpften ihre eigenen einsamen Kämpfe in unserer Seelen fernen materialistischen Gesellschaft – so geborgen war ich in meinem seelischen Zuhause. Und in der daraus resultierenden inneren unerschöpflichen Kraft.

Spätestens mit der beginnenden Beschulung (so heißt wohl das korrekte Wort. Beschulung. „Zuführung zu organisierter Bildung“ steht im Wörterbuch) wurden die Besuche der seelischen Wesen weniger und beim Schließen der Augen spürte ich dann eher Angst vor dem was kommen wird und kaum noch die frühere Geborgenheit, das seelische Wissen. Der Verstand begann – systematisch von den Hütern der „Wissensgesellschaft“ angeleitet – mein Bewusstsein zu übernehmen und auf den Materialismus zu konditionieren. Und Materialismus heißt: „Es existiert keine Seele.“ Und eigentlich, unausgesprochen in seiner Tiefe: „Das Leben ist vergeblich und ohne Sinn.“

Ich weiß noch, wie ich mich damals fragte, wo die Wesen und Tiere denn geblieben seien. Warum sie mich nicht mehr besuchten. Mein Bewusstsein wurde damals durch das einseitig materiell wirkende Bildungssystem unserer Gesellschaft völlig auf rein äußere Wahrnehmungen und die Gesetze der Logik und des Verstandes ausgerichtet. Für die Wahrnehmung der wirklichen, der ewigen Heimat durften keine Kapazitäten mehr zur Verfügung gestellt werden. „Kinderphantasien“ ist auch heute noch der gängige Begriff – gesagt und gedacht -, wenn Kinder Erwachsenen ihre spirituellen Erlebnisse kundtun. Oder auch wenn Erwachsene dies bei Erwachsenen tun.

So ausgerichtet tat ich das, was von mir familiär und gesellschaftlich erwartet wurde. Ich wurde auf die beste Schule am Ort geschickt und machte irgendwie meinen Abschluss. Ich studierte das, von dem ich meinte, dass es von mir erwartet würde und schloss als Diplom-Ingenieur ab. Nach dem Abschluss ging ich zum Arbeitsamt, denn es gab gerade keine Stellen für meine Qualifikationen, und so wurde ich zu einem Unternehmen geschickt, das einen Ingenieur suchte. Ich machte einen Termin, begab mich dort hin und bekam die Stelle. Da ich in einem anderen Bereich eingesetzt wurde, als es meinen Qualifikationen entsprach, machte ich in dem Unternehmen noch eine kurze Weiterbildung. Die Hauptsache aber war, dass ich den so angesehenen Bürojob hatte, dass es nun allen(?) recht gemacht war.

Nach einigen Monaten sprach ich zufällig den Personalleiter, der mich seinerzeit eingestellt hatte. Er sagte: „Haben Sie das damals eigentlich als Bewerbungsgespräch gesehen?“ „Nein.“, sagte ich, „Irgendwie nicht. Der Arbeitsberater sagte mir, ich solle zu Ihnen gehen. Sie würden einen Mitarbeiter suchen und wenn die Umschulung erfolgreich wäre, dann hätte ich die Stelle.“ Der Personalleiter nickte mit einem bestätigenden und leicht belustigten Grinsen im Gesicht… Mir wurde erst in diesem Moment bewusst, dass es für die Beteiligten am Anfang gar nicht sicher gewesen war, ob sie mir die Stelle überhaupt geben würden. Anscheinend war es mir als einzigem von vorneherein klar gewesen… Ohne es selbst zu wissen… So unwissend und schlafwandlerisch ließ ich mich von Kindheit an dahin stellen, wo ich hingestellt werden sollte. Nicht, dass alles einfach, wie im Schlafe gewesen wäre. Ich war ein mittelmäßiger Schüler, die familiäre Situation war oft schwierig und zu allem Unglück begann ich mit sechs Jahren zu stottern und konnte mich erst mit sechzehn Jahren mit Ach und Krach wieder halbwegs davon befreien. Schlafwandlerisch war eher der Weg an sich durch diese ganzen Wandlungen der Zeit. Ich ließ mich führen. Von wem auch immer. Der Freund war immer da, das Zuhause nie verlassen. Nur wusste ich es nicht mehr. Bemerkte es nicht mehr.

Von Jugend an interessierten mich die Menschen. „Was ist hinter ihrer Fassade? Was ist der wahre Mensch dahinter?“ Das waren meine Fragen, die ich schon als Jugendlicher stellte, ohne dass sie mir in dieser Form wirklich bewusst gewesen wären oder ich ihre Ursache hätte ergründen können. Ich hatte eine tiefe – unbewusste – Liebe zu den Menschen, aber ohne das vergessene Wissen um das wirkliche Zuhause stand ich in tiefer Ratlosigkeit vor dem Leben, das mir schon damals als nur halb erschien. So folgte ich meinem Weg. Geführt. Und irgendwie ohne Angst vor dem nächsten Tag. Während dieser ganzen Zeit zeigte sich immer wieder in einzelnen Situationen die Verbindung zur seelischen Heimat. In Träumen, die mir Zukünftiges zeigten. In Wissen über fremde Menschen, was Freunde damals scherzhaft als „Olivers Schnell-Psychogramme“ bezeichneten. Niemand wusste, was das war und woher es kam. Die Welt, in der wir standen, hielt außer „Zufall“ und „Phantasieprodukt“ keine Erklärungen oder Deutungen bereit. Und es war uns auch egal. „Eigentlich will ich einsam auf einem Berg Schafe hüten.“ sagte ich öfters zu meinen Freunden, während wir alle weiter und weiter durch die Instanzen der materiellen Maschinenwelt stolperten. Und ich meinte es auch so. Nach unserer Diplomprüfung wollten wir uns T-Shirts drucken lassen: „I‘m a fucking Diplom-Ingenieur“ sollte darauf stehen…. Wir haben es aber dann gelassen.

Der Bürojob – das Etappenziel vor dem Endziel der Rente – war gut. Ich hatte einen sehr guten Vorgesetzten und wirklich wunderbare Kollegen. Unser Umgang war offen und freundschaftlich. Es gab keine Heimlichkeiten und wir unterstützten uns alle wo wir konnten. Ich hatte in dieser Firma einen angesehenen und gut bezahlten Ingenieursposten, trug hohe Verantwortung und war respektiert. Alle waren zufrieden. Meine Freunde bewunderten meine Weg, der so floss ohne verbissen sein zu müssen und meine Eltern waren glücklich, meine Visitenkarte herumzeigen zu können. – Ich war es anfangs irgendwie auch. Ich fand die Arbeit „interessant“. Aber nach und nach erkannte ich, dass ich so nicht ewig weiter machen konnte. Zu fern war diese Existenz von etwas, was ich damals nicht benennen konnte. Etwas fehlte, war nicht vollständig. Im Rückblick weiß ich: Es war die Sehnsucht nach der wahren Heimat und nach der wahren Familie, die mich so suchend zurückließ.

Nun, da ich nach all dem Fließen an einem Punkt angekommen war, an einem Endpunkt quasi, konnte ich in dieser ruhenden Position den Mangel wahrnehmen. Und ich dachte: Das ist nicht das Leben, wie es gelebt werden sollte. Und ich wartete und wartete darauf, dass mein Leben wieder weiter gehen, weiter fließen würde. So wie es bisher immer war. Angestoßen von jemandem, der mich wieder an einen weiteren Wegpunkt meines Lebens führen würde.

Mehrere Jahre lang wartete ich. Es gab ein Bild in meinem Inneren, das für mich seinerzeit meinen Lebensweg illustrierte. Ich „denke“ oft in Bildern. Es war das Bild eines fahrenden Zuges und ich sitze auf dem Dach eines seiner Waggons. Es ist eine helle Nacht. Irgendwann schließt rechts auf dem Parallelgleis ein anderer Zug auf gleiche Höhe mit uns auf und fährt mit gleicher Geschwindigkeit neben uns. Er bietet sich mir an. Ich springe auf ein Waggondach dieses anderen Zuges und umgehend beschleunigt dieser seine Fahrt. Wir erreichen sofort eine Weiche und mein neuer Zug biegt ab, macht einen weiten Bogen und entfernt sich schnell von dem alten Zug, auf dem ich vorher gesessen hatte. So fühlte ich bildlich, wie sich mir die Gelegenheiten boten und wie ich sie nutzte. Ich sprang einfach hinüber… – – – Erst jetzt, beim Schreiben, wird mir wirklich klar, wie sehr diese Vision den allgemein akzeptierten Lebensablauf eines Menschen innerhalb der materialistisch-kapitalistisch bestimmten Gesellschaft darstellt: Die Wege verlaufen auf festen Schienen und der Mensch ist nur Passagier, der einem ihm unbekannten Ziel zugeführt wird. Er kann durch einen wagemutigen Sprung den Zug wechseln, aber dadurch ändert sich nur das Ziel selbst. Dass es ihm trotzdem immer verborgen und unbekannt bleiben wird, ändert sich dadurch nicht. Er sitzt oben im Fahrtwind auf einer künstlichen Maschine, bewegt von unbekannten Maschinenführern, und sieht die natürliche Welt nur aus Entfernung an sich vorüber rauschen. Er ist isoliert und bewegt sich nächtens nur von einer Maschine zur anderen. – und so ging es bei mir lange immer fort. Es kam aber nun nach Jahren des Wartens kein anderer Zug mehr. Sollte ich auf dem Weg zur materialistisch-kapitalistischen Endstation sein, um dort auf mein eigenes Ende zu warten?

Ich wohnte noch in meiner Studentenwohnung und verspielte unter anderem viel Geld an der Börse. Geld war mehr als genug da und das Verspielen wurde den Menschen dank des damals neu aufgekommenen Internet-Börsenhandels einfach gemacht. Es waren ratlose Handlungen, um irgendetwas zu tun, um meine Lebenszeit irgendwie herumzukriegen, ohne den üblichen Beruhigungsritualen von Konsum, Besitz und Status folgen zu können, da diese mich noch ratloser zurück ließen. Irgendetwas muss man doch mit seinem Geld machen, oder? Halbherzige Versuche, es zu vermehren. Wenn es schief ging – wie letztendlich immer – war es auch egal.

Ich hatte jetzt diesen Job, den ich haben sollte. Ich hatte jetzt das Geld, dass ich verdienen sollte. Ich war ein guter und verantwortungsvoller Mitarbeiter, für den der Job nicht Lebensaufgabe, aber wenigstens „interessant“ war. Okay. Und nun?!

Nach Jahren des Wartens war ich gezwungen selbst(!) eine Entscheidung zu treffen. Ich musste den fahrenden Zug verlassen, ohne dass auf dem Parallelgleis ein anderer bereitstehen würde. Ohne, dass das System mir eine weitere seiner Alternativen anbieten würde. Also besprach ich dieses Thema abschließend mit meiner Lebensgefährtin Charlotte – sie sagte: „Du willst es doch schon seit Jahren – Es wird gut sein, wenn Du es nun tust.“ Und so sprang ich – mit einem noch wagemutigeren Sprung – vom Dach des ratternden Zuges auf die stille und ruhende nächtliche Ebene. – Ich rollte mich ab. Es war passiert. Ich hatte mich nicht verletzt. Der Zug war an mir vorbeigerauscht und, mit staubigen Händen noch auf der erdigen Ebene kniend, konnte ich seine roten Abschlusslichter in der Dunkelheit verblassen sehen. Hörte ich da noch ein belustigtes Abschiedstuten (Oder klang das Pfeifen anders? Etwa wie „IDIOOOOOOOO-T“?) in der lauen, nach Thymian duftenden Nachtluft? Dann hörte ich nichts mehr und alles war still. Die Sterne prangten über mir, Ich stand auf, klopfte den Staub aus meinen Kleidern und war so glücklich, wie noch niemals zuvor in meinem Leben. Ich hatte gekündigt. Mein Chef sagte noch: „Ich hab‘ so was schon geahnt.“ Er dachte ich würde mich beruflich „verbessern“ wollen. Meine Eltern und meine Freunde konnten es nicht fassen.

Dies geschah vier Jahre bevor der Ruf mich ereilte und ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie es von jenem Punkt aus weiter gehen sollte. Keine Planung, keine Prognose, kein Konzept… – – – Ich denke jetzt gerade: Vielleicht hat mich der Ruf doch schon damals ereilt und nicht erst vier Jahre später. Bereits vor meiner Entscheidung zu kündigen. Nur leise eben und mächtig im Verborgenen. Nicht so offensichtlich zu erkennen im grellen Feuerwerk mit dem unser Verstand tagtäglich unser Bewusstsein betäubt. Vielleicht auch schon viel, viel früher. Vielleicht bereits zu Beginn meines Lebens. Vielleicht auch schon davor… Eine Kopfentscheidung war der Sprung vom Zug jedenfalls nicht. Ohne Planung, Prognose und Konzept kann es keine Kopfentscheidung gewesen sein. Da war zu viel Vertrauen und Geborgenheit beteiligt. Und viel zu wenig Angst…

Der Weg führte mich erst einmal zu den Menschen. Mit einem Studienfreund (der mit den T-Shirts), dessen Arbeitgeber gerade pleite gegangen war, übernahm ich eine Eckkneipe. Wir hatten uns zwei Wochen lang in ein Ferienhaus zurückgezogen, um unsere Zukunft zu planen. Auf etwas besseres als eine Gaststätte sind wir nicht gekommen. Man kann den letzten Satz ironisch sehen oder auch nicht. „Essen, trinken, reden, Gemeinschaft“, das sind die Grundlagen des menschlichen Zusammenseins, dachte ich mir. „Da finde ich den Menschen“, dachte vielleicht noch etwas anderes tiefer in mir. Hinter den Gedanken vielleicht schon. Auf jeden Fall jenseits unserer scheinbaren Versuche, unsere Zukunft zu „planen“.

Die Arbeit war anstrengend und nicht lukrativ. Ich war eine Mischung aus Beichtvater, Nachrichtenvermittler, Lebensberater, Chauffeur, Gewissen, Techniker, Alleinunterhalter, Anwalt, Richter, Friedensstifter und Sozialarbeiter. Mir machte das im Gegensatz zu meinem Studienfreund Spaß. Man muss wohl die Menschen lieben, um sich an einem gottverlassenen Montagabend für einen Stundenlohn von umgerechnet 40 Cent mehrere Stunden vom einzigen Gast dieselben Geschichten zum hundertsten Mal gleichmütig anhören zu können. Oder mit Rockern, Schlägern, verurteilten Totschlägern, Zuhältern, Hehlern und Stehlern, Hooligans und jugendlichen Neonazis umzugehen, die auch zum nächtlichen Großstadtleben gehörten und gelegentlich den Weg in unseren Gastraum fanden. Es gab nie Probleme. Selbst, wenn ich sie des Lokals verweisen musste. Ich wäre körperlich keinem von ihnen gewachsen gewesen. Ich sagte damals zu Charlotte: „Ich könnte das alles nicht machen, wenn ich nicht in jedem dieser Menschen immer auch etwas Gutes erkennen würde. Jeder hat etwas Gutes in sich.“- – – Meine inneren Ohren begannen langsam wieder etwas hören, nachdem sie sich vom jahrzehntelangen Rattern des eisernen Zuges zu erholen begannen. Ich wusste das damals nur noch nicht. – Vielleicht war ich zu der Zeit ziellos, aber zumindest war ich nicht mehr ratlos, denn auf seelischer Ebene wurde mir schon leise und fast unhörbar vieles offenbart. Vielleicht war ich mir meiner wirklichen Ziellosigkeit aber noch gar nicht bewusst. Ich lief in der Ebene zu Fuß noch neben den alten Geleisen her. Aus Gewohnheit und, ja, weil ich es noch nicht anders wusste. Weil man es mich nie anders gelehrt hatte. Oder besser: Weil ich vergessen hatte, was man mich in meiner Kindheit gelehrt hatte.

So kam die Zeit der Eckkneipe nach drei Jahren an ihr Ende. Mein Freund und ich hatten uns völlig zerstritten und an ein Weiterführen des Geschäfts war nicht zu denken. Er war ausgebrannt und mit den Nerven am Ende und ich spürte auch, dass es für mich so nicht weitergehen konnte. So gingen wir unserer Wege und ich, den alten Geleisen zu Fuß noch folgend, machte mich als Unternehmensberater in meinem vorherigen Berufszweig selbstständig. Ich fühlte den Rückschritt darin und ich fühlte meine Sorge, vor dem was kommen wird. Drei Jahre waren vergangen und ich war noch nirgendwo wieder angekommen. Im Gegenteil. Mir gingen scheinbar die Optionen aus und ich machte das, was am einfachsten in dieser Welt erschien: meinem gelernten Beruf nachzugehen und damit wieder einzusteigen. Aber das wollte ich ja gar nicht! – Ich ging jetzt nicht mehr nur an den Gleisen entlang, die Füße noch auf der Ebene, ich ging jetzt auf den Gleisen. Stolperte über die Schwellen und die Bohlen, die für Eisenräder gemacht waren und nicht der Gehweg für einen Menschen waren.

Der Preiskampf im Beratungsgeschäft war mörderisch. Gerade für einen Neueinsteiger. Finanziell blieb letztlich noch weniger übrig, als als Wirt. Charlotte steuerte mit ihrer Arbeit als Heilpraktikerin das meiste Geld für unseren Lebensunterhalt bei. Da ich jetzt wieder auf den Geleisen ging wurde ich wieder ratlos, denn mit dem Blick den Gleisen in Richtung Horizont folgend, stellte sich wieder vermehrt die Frage nach dem Ziel. Nach dem Morgen. Und da ich diese Gleise nicht ihrer Konstruktion entsprechend nutzte und auf ihnen fuhr, sondern auf ihnen zu Fuß dahin stolperte, wurde es existenziell. Angst kam ins Spiel. Ich konnte weder frei sein noch mich mit einer finanziell abgesicherten Position in der materialistischen Gesellschaft betäuben. Eine halbe Sache. Halbe Sachen gehen nicht. Auf keiner Ebene. Das musste ich noch lernen.

So verging noch ein Jahr und es war ein Jahr in Düsternis. Meine Stimmung wurde depressiv. Ich konnte nicht zurück und ich sah nichts wohin ich vorwärts hätte gehen können. Meine Kraft schwand und ich wurde zermürbt von den eisernen Schienen und den eichenen Bohlen.

Ich wusste noch nicht, dass ich einfach nur in die Ebene hinaus hätte gehen müssen. In weitem Bogen weg von den Schienen und ihrem geraden und eisernen Pfad. Und hätte es mir damals jemand erzählt, mein Bewusstsein hätte es ihm nicht geglaubt. Es wären nur Worte gewesen und Gedanken. Was hinter ihnen gelegen hätte, ich hätte es noch nicht erfassen können. Zu sehr war ich noch in den fünf Sinnen verhaftet und gekettet an den Verstand mit seinen Vorstellungen von Zeit, Raum und Ziel. Mein Seelensinn war noch nicht weit genug geöffnet. Mein Bewusstsein musste ihm erst wieder die Beachtung schenken, die ihm gebührte, um seine Wahrnehmungen dann wieder in meine Existenz einfließen lassen zu können.

Und dies geschah vor genau 10 Jahren an einem 30. November. Fünf Tage nach meinem weltlichen Geburtstag erlebte ich meine spirituelle Wiedergeburt. Das Geschehen selbst war recht profan. So profan, wie seelisches Geschehen manchmal eben erscheint und in die Welt kommt. An jenem 30. November sagte meine Frau Charlotte zu mir: „Heute ist in Duisburg eine schamanische Heilreise. Ich glaube, es ist an der Zeit für Dich.“ Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, was eine Heilreise war und das Wort „schamanisch“ hätte ich nicht einmal buchstabieren können. Ich schaute leicht zweifelnd-skeptisch von meinem Notebook auf. Charlotte sagte: „Ich lade Dich ein.“ Ich sagte: „Gut.“ Und ein neuer Stern erstrahlte am Firmament des nächtlichen Himmels und ohne es zu merken wandte ich mich ihm zu und entfernte mich von dem unter mir liegenden Joch aus Eisen und Eiche. Schlafwandlerisch folgte ich seinem noch leisen Licht. Ich schritt in die Ebene hinein und anstatt des pfeilgeraden Weges der Gleise begann ich, dem Lauf der Sterne zu folgen. Der Sterne, die die ganze Zeit so prangten in dieser nach Thymian duftenden lauen und stillen Nacht und die ich vergessen hatte, weil ich schwitzend und stolpernd versuchte, dem eisernen Weg zum unbekannten Horizont zu folgen.

In der Heilreise an jenem 30. November wurde mein Seelensinn wieder geöffnet und all das alte Wissen um die Ewigkeit und die Unendlichkeit kehrte zurück. Nicht im Kopf. Nicht aussprechbar. Eher als ein ehemals versteckter Teil meiner Existenz, der nun wieder wahrnehmbar wurde. Es war an der Zeit. Die göttlichen Kräften hatten gewartet bis es an der Zeit war, um sich mir dann schicksalhaft zu offenbaren und mich wieder bei sich aufzunehmen. Den verlorenen Sohn. Ich war am Ende jenes Abends wie vor den Kopf geschlagen. Etwas unsagbares, etwas unaussprechliches war geschehen und am nächsten Tag wusste ich, dass dies die Offenbarung war, die Heimkehr, die Rückkehr. Ich wusste, was mir fehlte und wonach ich jahrzehntelang gedürstet hatte. Ich suchte in den folgenden Wochen einen Lehrer. Völlig hilflos und unwissend, wie so etwas überhaupt von statten gehen sollte. Mit diesem scha-ma-nisch-en Sachen. Aber ich fand ihn und bei ihm lernte ich über schamanische Heil- und Bewusstseinstechniken. Ich nahm diesen Weg, weil sich diese Art der Erkenntnisgewinnung „meiner“ „Ansicht“ nach eben anbot. Es war ja eine schamanische Heilreise, die mich wieder in den Kontakt mit meinem seelischen Wissen gebracht hatte. Der Weg schien mir in irgendeiner Form geebnet worden zu sein. Im Januar fing ich an. Im April hatte ich alles, was ich benötigte erfahren. Ich wollte kein Schamane werden (wenn man sagen konnte, dass ich in dieser Zeit überhaupt etwas zu wollen gehabt hätte), sondern ich suchte den Zugang zur seelischen Welt. Alles war wie schon immer da gewesen. Nichts war wirklich neu und ich war in einem Zustand der inneren Ekstase. Durchgehend. Ich brauchte nichts mehr. Der Weg war in mir und ich wollte ihn gehen. Ich frohlockte: Endlich ein Mittel, all denen, denen das Eisen und das Holz die Beine brechen, Heilung zu bringen. Sie den Lauf der Sterne erkennen zu lassen und sie zu befreien in ihrer eigenen Göttlichkeit. Und ich war wütend. Warum wird unsere Beseeltheit vor uns verborgen gehalten? Warum wird das nicht den Kindern im Kindergarten bereits gelehrt? Der Zugang zu ihrer Seele? Warum werden die Menschen in Einsamkeit zerschmettert und nicht zu ganzen Wesen gemacht, wo das Wissen doch da ist? Wo es doch so einfach ist!

Ich hatte während dieses Prozesses der Wegfindung eine Woche lang um die 40°C Fieber und schwitzte alle Flüssigkeiten mehrfach aus. Danach war ich Nichtraucher. Ich erfuhr in meinen Fiebertrancen, dass mein Körper ein Tempel ist, den es zu pflegen und nicht zu zerstören gilt. Ich bekam höllische Rückenschmerzen, die mehrere Jahre anhielten. Es war, als hätte mich die höhere Macht an der Wirbelsäule gepackt und wollte mir keine Chance lassen, dieses Geschehen als krude Episode meines Lebens abzustempeln und mir wieder einen schönen gemütlichen und sicheren Bürojob zu suchen. Alte Fahrwasser waren nicht mehr erlaubt. Keine halben Sachen mehr. Ab jenem Zeitpunkt nie mehr. (Wissen Sie wie hart das sein kann? Nie mehr Kompromisse?) Ich weinte in den kommenden Jahren manchmal vor Schmerz und ich konnte oft kaum sitzen oder liegen. Aber ich wusste von wem es kam und ich akzeptierte es. Meistens.

Und ich dachte daran, zu praktizieren. Mit dem, was in mir war, wollte ich den Beladenen helfen. Vielleicht die Welt an meiner Vater und meiner Mutter statt heilen, die selbst so in ihren einsamen Kämpfen beschädigt worden sind. All den verlorenen Kindern das zurückgeben, was ihr Geburtsrecht ist: Ihr Wissen um ihre Beseeltheit! Ihre Ganzheit!

Aber ich praktizierte nicht. Nicht dauerhaft. Die Behandlungen, die ich durchführte waren erfolgreich. Erstaunliche Dinge wurden sichtbar. Meine seelisches Bewusstsein bewegte sich durch Zeit und Raum auf der Suche nach den verlorenen Seelenteilen der Menschen, aber so sehr ich seinerzeit als Wirt mit den unterschiedlichsten Menschen auf verschiedensten Ebenen zurecht gekommen war, so wenig war es mir in der Zeit nach meiner Heimkehr möglich. Mein Bewusstsein war von größter Heiligkeit erfüllt. Eine Heiligkeit, die von „normalen“ Mitgliedern unserer materiellen Gesellschaft einfach nicht in dem Maße (und auf die entsprechende seelische Weise) erfasst werden konnte. Mir schmerzte es so sehr, wenn Menschen kamen und nur etwas Exotisches suchten oder mal schauen wollten, was ich da so machte, die nicht begriffen, worum es eigentlich geht (die seelische Heilung von aller irdischen Last! Die Rückkehr zu Gott! Die Erfüllung des Lebens mit dem Sinn! Einheit! Klarheit! Rettung! So fühlte ich.), die diskutieren wollten über Dinge, die nicht diskutierbar oder bewertbar waren… und ich verzweifelte an den Menschen, denn wir waren auf einmal unendlich weit voneinander entfernt. In dieser Wahrnehmung der Heiligkeit des Lebens und des Tuns konnte mir niemand folgen und ich, dem alles so klar und einfach vor Augen lag, dachte jeder müsse das hören und – vor allem – sofort erfassen. So einfach und heilig und wunderbar war es doch! Wir sind alle gerettet! Es – ist – alles – wahr! So geschah es, dass ich nahezu alle meine Freunde aufgeben musste, denn worüber sollte ich mit ihnen reden, wenn nicht über die göttliche Kraft? Nicht das Richtige für eine Ansammlung von konsumfreudigen Materialisten oder Rockmusik hörenden Nihilisten. Ganz ohne Wertung. Unser Bewusstseinszustand ist so, wie er ist. Unser Einfluss darauf ist begrenzt. Auch meiner. Ich konnte zu dieser Zeit einfach über nichts anders sprechen. Genauso, wie meine Freunde dies nicht hatten erfassen können. „Ist doch keine Sekte, oder? Nein? Na das ist ja die Hauptsache.“

So stand ich da mit meiner Gotteserfahrung – denn das war es gewesen, wie mir eigentlich jetzt nach zehn Jahren erst klar geworden ist. Erst jetzt gibt es Raum für derartige unnötigen Analysen und Benennungen des damaligen Ereignisses – und verzweifelte erst recht. Warum wurde mir dieses unermessliche Geschenk gemacht, das ich bei den geplagten Menschen nicht heilbringend einsetzen konnte?…

Ich suchte zu der Zeit trotz dieser alles verändernden Erfahrung der göttlichen Kraft immer noch ein Ziel. Ein irdisches. So, wie ich es gelernt hatte. Wie wir alle konditioniert worden sind. – Nun hatte ich einen mikroskopisch kleinen Lichtschein des Göttlichen hinter zehntausend Schleiern aus den Augenwinkeln erahnt und war trotzdem noch nicht frei.

So kehrte die Düsternis der Sinn- und Ratlosigkeit in einer anderen Form zurück. Ich verbrachte mehrere Monate lang meine Tage in den Wäldern in Kontakt mit der geistigen Welt und bat um die Chance zu handeln, zu wirken. Zu heilen und mir eine nachhaltige Existenz zu schaffen. Auch dieser materielle Wunsch nach dauerhafter Sicherheit spielte – damals – eine Rolle. Lerne. war die eine Antwort. Warte. war die andere. Dies waren einzigen Antworten, die ich auf diese Bitte erhielt. Immer wieder. Es war zu früh für mich, um Aktivität zu entfalten. Viel zu früh. Ich wusste das damals noch nicht. Was wusste ich damals schon… (Was weiß ich heute schon…) So lernte ich all das, was mir mitgeteilt wurde, und verzweifelte, weil ich nicht heilend und wirtschaftlich aktiv werden konnte. Hätte ich damals gewusst, wie viel zu früh zum Handeln es noch war und wie lange ich noch warten sollte, ich hätte allen Mut verloren. Zu sehr und zu oft dachte ich wohl noch an den gewohnten geraden Schienenweg mit seinem unbekannten Ziel zurück. Hatte trotz allem noch zu viel Kopf und zu wenig Seele in meinem Bewusstsein. Zu viel Angst vor der Zukunft und zu wenig Wissen der Unendlichkeit und der Ewigkeit.

Eines nachts in dieser Zeit der zweiten Verzweiflung wurde mir im Traum ein Buch angekündigt. Ein Weisheitsbuch mit kurzen Abschnitten auf jeder Seite. Es folgte ein weiterer Traum über einen Marktplatz, auf dem ich früh morgens als erster meinen Stand aufbaute. Niemand war außer mir auf diesem Platz anwesend und ich wusste über nichts Bescheid. Als ich aufwachte, war ich enttäuscht, weil mir der Namen des Buches nicht genannt worden ist und dachte nicht weiter darüber nach. An diesem Tag waren meine Frau und ich absolut „zufällig“ und trotz völlig anderer Planungen auf einem Flohmarkt gelandet und dort erfüllte sich der Traum. Das Buch fiel mir am einzigen Stand mit einer Bücherkiste in die Hände. Ich war wie erstarrt. Ein Weisheitsbuch, der Text aufgeteilt in kleine Abschnitte, wie in meinem Traum. Ich kam mit der Standbetreiberin ins Gespräch (Sie fragte mich, ob ich einen Stuhl wolle. Dann könne ich das Buch direkt am Stand lesen. Das war sarkastisch gemeint. Ich hatte wohl zu lange fassungslos hinein gestarrt.) und sie erzählte mir, wie sie an diesem Morgen als erste alleine auf dem Platz gestanden hätte und keiner der Organisatoren des Flohmarkts wäre da gewesen. Es war eine Nacherzählung meines Marktplatztraumes! Alles war nun klar. Das Buch war das I Ging. Es war mir völlig unbekannt und sollte einen Euro kosten. Ich nahm es mit!

Ich studierte nun das I Ging, das Buch der Wandlungen und aller Schmerz und alle Verzweiflung fielen von mir ab. Ich begriff (letztlich seelisch und nicht unbedingt im Verstand), dass ich in alter Verblendung und materieller Konditionierung kopfgemachten Zielen nach gelaufen bin und dabei versäumt hatte, den natürlichen Wandel mit einzubeziehen, ja, ihn als die Basis allen Geschehens anzuerkennen. Kann ich nicht handeln, dann ist es nicht an der Zeit zu handeln. Soll ich lernen, dann ist es an der Zeit zu lernen. Ganz, ganz kurz gefasst. Und so kehrte Ruhe in mir ein und ich akzeptierte den Weg, der mir bestimmt war und ich begann – noch holperig und mit vielen Rückschlägen – auf das Schicksal, auf Gott, zu vertrauen. Mir wurde das I Ging angekündigt und dann geschenkt. Ich war so voller Freude und Liebe für denjenigen, der mich an der Hand hielt und durch das Dunkel in die Morgendämmerung führte! Wenn ich jetzt lernen muss, dann lerne ich eben und mache mir keine hochtrabenden Weltverbesserergedanken von der Rettung der Menschheit in einer spirituellen Praxis mit gutem Umsatz. Dein Wille geschehe.

Zu dieser Zeit wurden mir Zeichen über Zeichen dargebracht.

Es war, als würde eine höhere Macht alles dafür tun, dass ich nicht von meinem Weg abweiche. Zeichen, die auch meinen manchmal immer noch zweifelnden und sicherheitsbedürftigen Verstand überzeugten und ihm keine Wahl ließen, als sich dem geführten Geschehen hinzugeben. Die Seelenreisen mit ihren nahezu unglaublichen Ergebnissen hatten ihn schon soweit überzeugt, dass der Weg wohl absolut wahr sein musste, aber ob er jetzt so ohne alle Sicherheitsgurte weiter gegangen werden müsse, davon war er noch nicht völlig überzeugt. (Die Frage der Existenz von Zeichen ist für viele Menschen schwer anzunehmen oder zu glauben, aber meine heutige Erfahrung hat mich gelehrt, dass gerade Personen, die sich in einem spirituellen Umbruchzustand befinden, so wie ich es damals war, vermehrt Zeichen und Hinweise erhalten. Mit der Zeit lässt es wieder etwas nach. Bei diesen Zeichen handelt es sich um deutlichste Hinweise und klarstes Zusammenkommen von Geschehnissen unterschiedlichster Art. Es ist nicht so, dass man nur auf bestimmte Dinge einfach mehr achtet und sie dann eher auffallen. Die Welt ist für jemanden, der sich in einem ausgeprägten spirituellen Grenzzustand befindet, wirklich verändert. Er ist in Resonanz mit der gesamten Schöpfung und aus dieser Einheit heraus werden die Hinweise für ihn in die Welt hinein geboren.)

Wir mussten die Stadt verlassen, in der wir seit 20 Jahren lebten. Ihre Antriebs- und Hoffnungslosigkeit ging mit uns in Resonanz und wir waren ebenfalls in der dort herrschenden Trübnis gefangen. Charlotte fand ein Häuschen für uns. In einer Waldsiedlung in Norddeutschland. Es wurde uns über viele Zeichen angekündigt und dann ganz deutlich als der Ort, an dem wir verweilen sollten, identifiziert. 50qm mit Ofenheizung, Einfachverglasung. Nicht isoliert. 2000qm Wald-Grundstück auf Pachtbasis. Ich verbrachte dort die erste Zeit alleine. Ich hatte zu renovieren und Charlotte betrieb noch ihre Praxis in Dortmund. Ganz stark ging ich in Verbindung mit den ehemals dort lebenden Menschen. Ich fand Steinzeitartefakt nach Steinzeitartefakt und lernte und lernte von dem Wissen unserer Vorfahren. Darum sollten wir hier sein. Der Ort und unsere Ahnen hatten uns hier hin gerufen. Fast verlor ich mich dort. Verlor mich in der seelischen Existenz. Wäre beinahe verschwunden im Wald als Wesen, das jedes Bezugs zu den materiellen Fragen und Sorgen der Menschen entledigt war. Aber das war mir nicht erlaubt. Ich musste Mensch bleiben. Und Mensch bleiben heißt, bei den Menschen bleiben. So musste ich mich bewusst entscheiden und vergeistigte nicht. Ich ging meinen Weg im Dienste der Menschen und ihrer Heilung weiter. Ohne viel zu tun. Durch reines Sein. Durch Existenz. Eine schwere Übung, wo doch unser Verstand immer etwas tun will.

Zu Beginn, gerade als ich endlich alle Führung abgeben wollte, kam Pia, unser rumänischer Straßenhund in unser Leben. Geführt. Pia ist ein starker Hund. Eine geborene Führerin in einer Hundewelt. Gnadenlos unnachgiebig in den natürlichen Gesetzen, die sie in sich trägt. Jedem gegenüber. Egal ob Hund oder Mensch. Mit der Menschenwelt konnte sie nichts anfangen. Sie war ihr fremd geblieben, wie als wäre sie auf einem fremden Planeten. Sie war wie ein wildes Reh und saß unvermittelbar drei Jahre im Tierheim. Ganz in sich zurückgezogen. Ganz in ihre Wurzeln vertieft. Wir konnten sie ein halbes Jahr nicht ableinen. Sie wäre einfach gegangen. Weg von der Fremde und zurück in ihre Einheit, auf die sie sich verlassen konnte. So forderte sie mich. Forderte mich, klar zu sein. Ihr Führer zu sein. Der Führer zu sein, den sie mit ihrer natürlichen Kraft für erforderlich hielt, um ihr Vertrauen wecken zu können. Also musste ich, statt Führung endlich abgeben zu können, der Führer einer ganz großen Führerin werden. Und so lernte ich von ihr Wahrheiten, die eines Dao-Meisters würdig gewesen wären. So lernte ich von ihr und von den Ahnen die unvermischte, die ungedachte Wahrheit. Die Lehre ohne Worte. – – – Sollte der Verdacht aufkommen, dass ich als Hundeliebhaber jetzt eben einfach ein wenig über die Stränge geschlagen hätte: Sie wären nicht der erste, der diesen Gedanken gehabt hat. Wurden diese Skeptiker dann aber mit Pia konfrontiert, dann standen sie ratlos und verwirrt vor ihr und mussten zugeben, wie unbegreiflich dieses Wesen ist. Nicht der Hund, den man sich so vorstellt… Unnahbar, Führerin, Pharaonin… das sind nur ein paar Begriffe, die die Menschen benutzten, um ihr Gefühl in ihrer Gegenwart zu beschreiben. Einer nannte sie auch „Psycho-Hund“. Sie kam nicht zu ihm, als er das wollte. Im Gegenteil. Sie ging immer höflich einen halben Meter weg – gerade eine Armlänge – wenn der Mann sich ihr näherte. Zu autonom für seinen Geschmack. Zu bestimmt und zu selbstbewusst. Sie hatte ganz ruhig und mit wenig Aufwand – einfach durch ein paar ruhige Schritte – die absolute Kontrolle über die Situation. Natürliche Weisheit.

Neun Jahre lebten wir an diesem Ort, in diesem Haus. Ein Ort der Stille und des Rückzugs. Wald ist Erde, ist die Mutter, ist das Tragende und das Nährende. Wir waren mit allen Nachbarn gut. Wir ergriffen nie Partei und waren mit keinem zu eng. So konnten wir für jeden da sein, ohne jemanden abtrennen zu müssen. Ich verdiente selbstständig etwas Geld und Charlotte reduzierte ihre Aktivitäten auch in hohem Maße. Jedes Jahr brauchten wir weniger Geld. Wir konnten es bei der Betrachtung unserer Steuererklärungen nie fassen, wie wenig Geld wir verdient hatten und trotzdem problemlos über die Runden gekommen waren. Wir waren finanziell nahe am Sozialhilfeniveau. Und versorgten uns und unsere zwei Hunde – der Sunny kam nach sieben Jahren noch dazu – mit Biokost, hatten zwei Autos und lebten halbwegs normal und vor allem glücklich. Weil wir nicht viel arbeiteten hatten wir etwas sehr Wertvolles erhalten. Und diesen Schatz konnten wir den Menschen in unserem Umfeld geben: Zeit. Wir konnten immer da sein. Wer unsere Hilfe brauchte, der konnte sie haben. Eine sterbende Freundin konnte uns anrufen, wenn sie in tiefster Angst war und wir konnten zu jeder Zeit bei ihr sein. Egal ob morgens, mittags oder abends. Die Notwendigkeit diktierte uns den Zeitplan. Nicht das kapitalistische Räderwerk, das den Menschen ganz und gar mit Haut und Haar und jeder Lebenssekunde für seine Zwecke einforderte. Wir hatten immer ein offenes Ohr, wenn die Nachbarn vorbei kamen und jeder seine Version eines „Vorfalls“ schilderte. Wir versuchten immer auszugleichen. Wir ergriffen nie Partei. So dienten wir den Menschen und waren einfach. Wir segneten im Stillen. Das war unsere Aufgabe. Sein und dieses Sein den Menschen zu schenken. Bedingungslos und ohne Wertung. In Liebe. In Einheit.

Nach vier Jahren spürte ich, dass die Zeit im Wald zu ende geht und wir den Ort bald verlassen müssen, da er uns alles gegeben hat, wofür wir zu ihm kommen sollten. Ich war bereit und Charlotte war es nicht. Also blieben wir noch, denn wären wir nicht in Einheit gegangen, wir wären in völliges Chaos gestürzt. Wenn einer in Angst geht, dann ist er im Kopf. Ist er im Kopf, dann kann daraus nichts Ganzes erwachsen, denn es fehlen das innere Wissen und das Vertrauen in die Kraft. So vergingen noch fünf Jahre, bis Charlotte sagte: „Jetzt fühle ich es auch. Die Zeit hier ist um. Jemand anderes muss nun diesen Ort übernehmen und wir müssen aus dem Wald wieder unter den Himmel. Jetzt kann ich gehen.“

Ich hatte damals die Halbzeit gespürt. Der Kreislauf auf seinem höchsten Punkt. Die ersten viereinhalb Jahre des Kreislaufes waren um gewesen. Die Bewegung fing an rückläufig zu werden. Weitere viereinhalb Jahre später hatte sich der Kreis vollendet. Alles geschieht in seinem eigenen Rhythmus und zu seiner eigenen Zeit. Warten. Lernen. Wissen. Warten.

Wir stellten das Haus ins Internet und nach 48 Stunden war es verkauft. Zu einem Preis, der dreimal so hoch war, wie der ehemalige Kaufpreis. Ich glaube, das war eines der wenigen Male, in denen mir so ein „Geldgeschäft“ „gelungen“ ist. Aber es war ein schwieriger Akt. Es gab vier feste Interessenten und wir mussten drei von ihnen absagen. Alles Menschen, die diesen Ort gespürt haben, die in Resonanz gegangen sind und die erkannt haben, was sie hier erhalten könnten. Es gab Enttäuschung, Trauer und auch etwas Wut. Es war schlimm, denn dieser Ort war nie dafür gemacht gewesen, Schmerz zu zufügen. Was war geschehen? Dieser Ort ist ein seelisches Wesen und durch den Verkauf bzw. das Angebot zum „Kauf“ haben wir ihn zu einem Ding gemacht (als ob er uns „gehören“ würde!). Zu einem Objekt, auf das die Menschen Ihre Begierden, Ihre Sehnsüchte und ihre Hoffnung auf Heilung gerichtet haben. Ich möchte so etwas nicht noch einmal erleben, aber es war eine Lehre, zu sehen wie etwas seelisch Reines durch die Mechanismen des kapitalistischen Materialismus zu einer Quelle des Schmerzes werden konnte. „Wahrscheinlich kommen die Richtigen und die haben dann kein Geld und wir müssen ihnen das Haus dann schenken.“ haben wir im Vorfeld im Hinblick auf unsere Führung mehrfach gewitzelt. Nach diesen 48 Stunden des Hausverkaufs war ich mir nicht mehr sicher, ob wir nicht genau das hätten tun sollen. Aber da war auch das Geld, das wir „brauchten“? (oder auch nicht?…).

Wir haben es uns nicht leicht gemacht und das Haus einem jungen Paar mit zwei Kindern verkauft. Nicht zuletzt, weil ich vorher von den ihnen geträumt hatte. Eine neue Generation, die diesen Ort weiter beleben wird. An die der Ort neue Anforderungen stellen wird und der ihnen vielleicht andere Sachen erzählen wird.

Wir hatten nun keine Ahnung wohin wir gehen sollten und zwei Monate Zeit, unsere Angelegenheiten zu regeln. Wir verschenkten unsere Einrichtung an Nachbarn und, da wir nicht wussten wohin, lagerten wir den Rest bei Freunden im Keller ein. Es war nicht mehr sehr viel. So wussten wir, dass wir uns bewegen müssen und von Geisterhand stand am Straßenrand ein großes altes Wohnmobil mit dem lapidaren handschriftlichen Hinweis „Zu Verkaufen“ auf einem Zettel in der Seitenscheibe. Es hatte die passende Größe für zwei Personen und zwei Hunde und die perfekte Aufteilung. Ich wusste, dass der alte Mann mir Unmengen an Defekten verheimlichte, aber das war egal. Wir mussten dieses Wohnmobil kaufen, zahlten den Preis und nahmen es mit. Es gab tränenreiche Verabschiedungen am Abreisetag und fast hätten wir nicht fahren können. Es war uns nicht bewusst gewesen, wie sehr wir in den Herzen mancher Menschen angekommen waren. Waren wir doch nie so eng mit den Einzelnen gewesen. „Mutig“ war das Wort, das fast jeder gebrauchte und ich glaube, durch diesen Akt, wieder einmal kompromisslos alles hinter sich zu lassen und nur zu vertrauen, ist auch dort bei so manchem wieder etwas in Bewegung gesetzt worden. Nicht aus Angst beharren, sondern in klarem Vertrauen handeln… Sich der Führung anvertrauen. Die seelische Stimme hören und im Sinn aktiv sein…

Nun sind wir vier Wochen unterwegs… und der Ort ist hinter uns geblieben. Vergessen fast. Wir sind auf dem Weg und erwarten das, was zu uns kommen wird. Hier sitze ich nun und schreibe die letzten Sätze. Die Sätze, die den Anfang bilden werden.

Hier endet die Geschichte – erst einmal. Denn in Wahrheit endet sie nie. Und hat auch nie begonnen. – und auf andere Art, mit anderem Tenor, beginnt sie im nächsten Kapitel wieder neu. Es folgt das, was ich gelernt habe in diesen Jahren. Was mir gesagt worden ist in diesen Jahren. Was ich erlangen konnte, weil ich still wurde und mit dem inneren Ohr zu hören lernte….. Ich wünsche mir, dass es Dir dienen kann auf Deinem Weg.

In Liebe Dir Leser.

September 2019

10. Februar 2022

Nun ist das Buch immer noch nicht zu Dir gelangt, mein lieber Leser.

Viel ist geschehen, in der Welt, in den letzten zweieinhalb Jahren. Der Wahlkampf in den USA, der den wahnwitzigen Zustand der westlichen kapitalistischen Systeme und die verzweifelte Desorientierung der Menschen in ihnen noch einmal deutlich beleuchtet hat. Corona. Eine andere rüde Hand, die die kuschelige Decke von den modernen materialistischen Zivilisationen, die es sich in blinder Selbstgefälligkeit so bequem gemacht hatten, hinweg reißt und diese, schlagartig aus ihren Plastikträumen erwacht, bitter in der Realität frieren lässt. Der Klimawandel, der Untergang der Welt, als großes Thema. Und der schachernde Umgang der gierigen kapitalistischen toten Krämerseelen damit.

Ich habe den Wald verlassen, um zu erfahren, ob meine Erkenntnisse in der Welt draußen bestehen können. Sie können es. Das habe ich erfahren. Die innere Erkenntnis der vielen Jahre im Rückzug deckt sich mit dem Geschehen in der äußeren Welt. Es ist gerade so, als wäre mit den extremen Geschehnissen der letzten Jahre extra ein Brennglas auf den Zustand der Welt gerichtet worden, das diesen in unübersehbarer Größe den Menschen vor Augen führt. Sie müssen nur hinschauen und dann noch begreifen, was sie da eigentlich gerade zu sehen bekommen.

Was, abseits – oder auch gerade nicht abseits – der Weltereignisse, mich betrifft, so saß ich gestern in meinem Sessel und hätte ich einen Revolver gehabt, ich wäre ins Bad gegangen und hätte mir ansatzlos und ohne zu zögern eine Kugel in mein Hirn geschossen. Aber dazu später. Es war ein bemerkenswertes Ereignis, aber alles der Reihe nach:

Oktober 2019. Kurz nachdem ich die obige Einleitung geschrieben hatte, trennten sich Charlottes und meine Wege. Nur die äußeren. Nur auf Zeit. Und in Liebe. Nachdem wir festgestellt hatten, dass unsere Transformation nur stattfinden kann, wenn jeder eine Zeit lang sie alleine sucht, ist Charlotte mit den Hunden im Auto abgereist und mir blieb das riesige uralte abgetakelte Schlachtschiff von Wohnmobil.

Charlotte reiste von Ferienhaus zu Ferienhaus. Von Freunden zu Freunden. Ich fuhr durch Deutschland. Ohne Zeit. Und ohne Raum. Ohne Ziel. Ohne Anlass. Substanzlos regelrecht. Sechs Wochen lang.

Wir trafen uns Mitte Dezember bei Nürnberg zum Geburtstag unseres Schwagers wieder. Und ich reiste danach, einer Vision folgend, nach Portugal. An den Atlantik. Vier Tage hörte ich seinem ozeanischen Grollen, seinem Rauschen, seinem Zischen zu, ließ mich hypnotisieren von seinem ewigen vorwärts und rückwärts. Seinem ewigen Geben und Nehmen ohne Unterlass. Und am Neujahrstag 2020, der Atlantik hatte mir alles gesagt und mich entlassen, fuhr ich in eilendem Gewaltmarsch zurück nach Deutschland. Nach Thüringen. Ganz weit draußen in ein Dorf im Schiefergebirge. Und verbrachte dort auf einem ehemaligen Rittergut die ersten vier Monate der Pandemie. Charlotte kam dazu und wir waren wieder vereint.

Der Anlass für unseren Aufenthalt war eine befreundete Pastorin, die, allein auf sich gestellt, Hilfe bei einem Umzug zu einer neuen Pfarrstelle brauchte.

Das Rittergut gehörte einer Bekannten von ihr. Wir verbrachten schöne Tage in für unsere Verhältnisse fast fürstlichem Luxus. Und da wir nicht wussten wohin, blieben wir erst einmal dort. Weit, weit weg von den Verwirrungen, die der Virus mit jedem neuen Tag über die Welt brachte. Wir hatten nun den weiten Himmel über uns. Den lang ersehnten, den lange erwarteten. Und wir waren froh, dass wir das Geld vom Hausverkauf hatten. Sonst wäre alles sehr, sehr schwer geworden. So schwer, wie für viele andere in jener Zeit.

Eine Freundin Charlottes wurde krank, bekam eine Lungenembolie und wurde in ein künstliches Koma versetzt. Sie hat eine spastische Lähmung und ist auf den Rollstuhl angewiesen. Charlotte fuhr zu ihr in die Stadt, die Stadt, die wir 10 Jahre zuvor verlassen hatten, und setzte sich zwei Wochen lang an ihr Bett. Bis sie wieder aus dem Koma aufgeweckt wurde.

Charlotte entdeckte eine neue Wohnung. Erst zum Übergang, für die Zeit bei ihrer Freundin und dann als ich nachzog, auf Dauer. Ein alter Bungalow. Auf einem großen und verwilderten Selbstversorgergelände, das, früher inmitten von Feldern, mittlerweile an ein noch größeres Neubaugebiet mit Reihenhäusern angrenzt. Nur getrennt davon durch einen zwei Meter breiten Gehweg. Ein eigenartiger Kontrast.

Ich wollte in die Stadt, mich und mein Erkennen erproben. Das hat sich erfüllt. Charlotte wollte schon lange mal ein Haus mit einer schönen großen Glasfront. Auch das hat sich erfüllt. Hat der eine Raum, den wir nun bewohnen eine durchgängige, zugige Glasfront in Holzbauweise. Mit Blick direkt auf den Gehweg. Das Grundstück erinnert in seiner Wildheit sehr an das, das wir sieben Monate zuvor verlassen hatten. So fügen sich die Wünsche auf manchmal wunderbarste Weise.

Die Besitzerin ist letztes Jahr mit 96 Jahren verstorben und die sechs Kinder lassen das Grundstück nun, da sie sich nicht einigen können, zwangsversteigern. Es wird dann wohl alles abgerissen werden. Und planiert. Wir wissen, dass wir hier nur noch auf absehbare Zeit leben können. Wir sind neugierig auf das, was dann kommen wird.

Und was gab es außer den geographischen Aspekten unserer weiteren Lebensreise zu berichten?

In der Stadt erfährt der Mensch, dass er unter Menschen einsamer sein kann, als er es alleine wäre. Das ist eine meiner Wahrnehmung in der Stadt. Eine der ersten. Aber es ist nicht meine. Es ist die der vielen Menschen um mich herum; nur wahrgenommen und ausgedrückt von mir.

Alle sind wir verbunden. Alle fühlen wir alles. Die einen stärker, die anderen schwächer. Nichts, was wir denken, was wir fühlen kommt nur aus uns. Nichts, von dem, was ich geschrieben habe, ist meins. Es kommt aus dem Äther. Aus dem kosmischen Wind, der uns alle wie Gras auf der weiten Ebene im harmonischen Gleichklang und Rhythmus hin und her wiegen lässt. Mal ruhiger und manchmal auch chaotischer. Dies ist erfahrbarer Fakt, richtet der Mensch seinen Blick auf das Brennglas und ist bereit zu erkennen, was ihm dort als Erkenntnis dargeboten wird.

Als junger Mensch wusste ich nicht, warum ich manchmal plötzlich traurig wurde. Immer suchte ich nach dem äußeren Anlass. War doch eigentlich alles gut. Nie fand ich ihn. Heute weiß ich: Es war der Schmerz meiner Eltern, der mich – über hunderte von Kilometern entfernt – übermannte. Es war ihre Existenz in sinnloser Seelenferne; Ihr Leid, das sie nicht lindern konnten.

Vor gar nicht so vielen Jahren hielt ich die Menschen, von denen ich hörte, dass sie sich quälten, weil sie alles und alle so deutlich spüren würden, für mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hoffnungslos überspannt. Bis ich erkannte, dass es mir ja genauso geht. Dass meine Wahrnehmung der Welt auch aus der Wahrnehmung dieser unzähligen kleinen Fäden besteht, die alles mit allem verbinden. Mit dieser Erkenntnis gab es keine offen Fragen mehr für mich. Ich erkannte, dass diese Verbindungen wichtig sind. Dass sie so sein sollen. Heute ist dieses Wahrnehmen der Anderen normal für mich. Kommen Menschen auf mich zu, rufen Sie mich an, ich habe ihren Schmerz bereits am Tag zuvor, am Tag ihrer Entschlussfassung, mich anzurufen, gespürt. Sind sie in Angst oder Wut oder erschöpft. Ich weiß es bereits. Habe es am eigenen Leib erfahren. Bin ich plötzlich unheimlich kraftvoll und voller Vitalität, da ruft mich jemand an und erzählt mir von seinen Plänen, seinem neuen Leben. Seine Kraft ist es, sein Segen, der mich überflutet hat. Ich singe plötzlich Trauermelodien und erfahre später vom Tod eines Verwandten. Ich träume und bin in Verbindung mit anderen, träume Teile ihres Lebens. Später erzählen Sie mir ihr Erlebtes und ich lächle, denn ich weiß es ja schon. War ja mit ihnen zusammen dabei. Weinen möchte ich vor Rührung, so ich dies hier gerade schreibe. Nicht nur möchte ich. Ich tue es. Denn es ist so unendlich groß. Diese Verbindung ist so unendlich groß und sie ist heilsam und sie könnte noch so viel heilsamer sein, wäre der Mensch sich darüber im Klaren. Verlassen könnte er sein Gefängnis, das ihn in Sinnlosigkeit und Todesangst und Einsamkeit hält.

Trump, Verschwörungstheorien, alternative Fakten, Facebook, Twitter, Instagram, Corona, Angst, Lüge, Misstrauen, Maßnahmen GEGEN, offene Todesangst, Desinformation, Lenken mit Gewalt und Angst, Widerstand, Angst, Zwang, Klimawandel, Geschacher, Reden und tricksen und Meinungen, Meinungen, Meinungen und lachhafte hole Worthülsen im kapitalistischen Einzelkampf von Solidarität und Gemeinschaft. Experten, Studien, Wissenschaftler, Modelle, Statistiken. Und Kaufen, kaufen, kaufen, Amazon, ebay, kaufen kaufen kaufen. Elektroautos mit vier Auspuffrohren. Männer gekleidet wie Schuljungen. Alle vor ihrem Telefon. Alle betäubt im Angesicht des Irrsinns, in den diese Welt hineinstürzt. Alle nur Funktion, alle nur tote Maschine für den gnadenlosen Kapitalismus. Unterdrückte Verzweiflung. Der Wunsch, nur noch zu schreien. Ohne Unterlass. Und keine Hoffnung auf Heil. Kein Heil in dieser hoffnungslosen Plastikwelt. Hunger. Unstillbarer Hunger. Nach Sinn. Nach Liebe. Nach der Mutter.

DAS erfahre ich in der Stadt. Am eigenen Leib. Tag für Tag. Und dafür muss ich niemanden sehen oder sprechen.

Am Anfang, damals in tiefer Ruhe im Wald, beim bewussten sich Wiegen im kosmischen Wind, erkannte ich zu meiner Überraschung, dass Beseeltheit und Materialismus – somit eben auch Kapitalismus – nicht vereinbar sind. Erkannte, wirklich verblüfft, meine Entwicklung zum Antikapitalisten. Erkannte die Notwendigkeit der Abkehr vom kapitalistischen System und eine Hinwendung, ja, zu einer, einer Art, beseeltem Sozialismus, oder etwas ähnlichem.

Was ich damals über den Kapitalismus schrieb war noch voller Verblüffung, angefüllt von einem plötzlichen leidvollen Erkennen der Unmenschlichkeit, die in diesem System verankert ist. Heute, in der Stadt, im Brennpunkt der historischen Geschehnisse und im Brennpunkt der Menschen in der kapitalistischen Gefangenschaft, ausgeliefert diesem Wahrnehmen all jener Verwirrung und all jenen Leidens und all jener Einsamkeit, sind die Worte, die ich aus dem kosmischen Schwingen schöpfe, nicht mehr überrascht und leidvoll. Sie sind wie der Kapitalismus und wie die Menschen, die in ihm um ihr Überleben kämpfen. Teilweise voller Wut. Teilweise roh. Teilweise voller unendlichem Schmerz. Es ist der Aufschrei derjenigen, die nicht mehr schreien können. Es ist der Warnruf derjenigen, die ihn selbst nicht mehr ausstoßen können. Und sie rufen: „Weicht zurück! Geht einen anderen Weg! Dieser führt in das Verderben. Dieser führt in unendliches Leid und dann in die Vernichtung.“

Vor einer Woche, in einer tiefen Trance, kam ein Mann mit weißem Bart auf mich zu (nicht Gott, nein, nein. Keine lachhaften Klischees bitte). In der Hand hielt er einen stählernen Zimmermannshammer. Und mit diesem Hammer schlug er mir urplötzlich zweimal mit aller Gewalt in den Schädel. Ich stöhnte auf. Perplex, erschrocken.

Am nächsten Tag ging es abwärts. Der Schmerz kam und überflutete mich. Von Stunde zu Stunde wurde es schlimmer. Die Sinnlosigkeit ertränkte mich in ihrem schwarzen bitteren Wasser. Noch konnte ich von außen betrachten: Der alte Mann mit dem Hammer. Er hat mir mit dem ersten Schlag den Schutzpanzer weggeschlagen, den ich mir in den letzten zwei Jahren in der Stadt zu gelegt hatte. Und mit dem zweiten Schlag hat er meinen inneren Blick wieder weit geöffnet.

Dieses Leid! Dieses unendliche Leid in dieser seelenlosen Welt! Die Menschen. So verlassen. So einsam. So trostlos. So sinnlos. Und sie könnten so groß sein. Dürften sie nur ihre Ganzheit leben!

So kam nach Tagen zunehmender Verdunkelung der gestrige Tag. Und da war nichts mehr, was ich noch in dieser Welt hätte wollen können. Alle Verzweiflung lag auf mir. Und ich wollte nur noch – sterben.
(Ergänzung 2023: Es war der Vorabend des Ukraine-Krieges. Der ersten wirklich lebensbedrohlichen Situation, der die westliche Gesellschaft seit über 70 Jahren ausgesetzt war – und immer noch ist. Die Angst vor einer nuklearen Eskalation, in die die Menschheit durch unverantwortliches und unkontrollierbares politisches Handeln hinein gerissen und vernichtet werden konnte. Diese maximale Angst und dieser maximale kollektive Schmerz waren es, die ich so überwältigend in mir wahrnahm. Die mich völlig unvorbereitet erwischt hatten. Ich wusste damals nicht, warum mir dieses unsagbare Leid so plötzlich widerfährt.)

Ich erzählte es Charlotte und sie weinte.

Irgendwann in dieser allerdunkelsten Nacht, die mein Leben bisher kannte, habe ich das Bedürfnis, ein Mantra zu hören. Gesungen von einem wirklich heiligen Mann. Ich kannte es. Hörte es aber eigentlich nie. Nun hatte ich einen unstillbaren Durst nach diesem Klang.

Und ich sitze und ich höre seine Stimme. Und alles Leid fällt von mir ab. Alle Last fällt von mir ab. Ich werde leicht. Ich bin gesegnet. Ich bin wieder im Sinn. Ich weine vor Glück und vor Dankbarkeit. Fort ist jeder Schatten. Zwanzig Minuten hat es gedauert. Zwanzig Minuten von tiefster Depression in die höchsten Höhen des Sinns. Zwanzig Minuten, wenn Dein Bewusstsein mit der Kraft der Liebe geflutet wird! Länger braucht es dann nicht! Das war die Antwort. Das sollte ich nun ein letztes Mal erfahren.

Ich gehe zu Charlotte und sage: „Ich bin erlöst. Nichts haftet mehr an mir.“

Und so kann ich hier heute sitzen und diese Worte schreiben.

Die Hölle ist ein Gemeinschaftswerk der Menschen im Materialismus. Einsam und geblendet vom materialistischen Dogma der Sinnlosigkeit jeder Existenz und ohne es bewusst zu wollen, reißen sie sich und die Welt tiefer und tiefer in sie hinein. Das Paradies ist ein Gemeinschaftswerk der Menschen, die ihre Beseeltheit – noch – spüren. Ohne es zu wissen, retten sie die Welt. Es ist Bewusstsein. Alles ist Bewusstsein. Es liegt am Bewusstsein der Menschen, ob sie in der Hölle erfrieren oder ob sie im lauen warmen Wind des Paradieses in Frieden und Sinn einher schreiten werden.

Um diese Worte zu schreiben hat der alte Mann mit dem weißen Bart mir den Schädel frei geschlagen. Dies sollte ich sehen und dies sollte ich mitteilen.

Von 2019 bis heute habe ich weiter geschrieben. Immer wieder setzte ich ab und sagte: „Das war es jetzt. Mehr gibt es nicht zu sagen.“ Und Charlotte lachte, wenn ich morgens dann wieder am Schreibtisch saß und schrieb und schrieb, in Worte und Bilder zu fassen versuchte, was der kosmische Wind, der uns alle bewegt, so wortlos und bildlos durch die Welt strömen ließ.

Vergleiche ich meine Worte von 2022 mit denen von 2019, dann erkenne ich deutlich die Veränderung, die mein Bewusstsein erfahren hat in den zwei Jahren im Brennpunkt des Materialismus. Ich gehe auf einem schmalen Grat. Bewusst gewählt – oder besser: von höherem Bewusstsein auf ihn geschickt. Den Grat zwischen dem Seelischem und dem Materiellem. Zwischen Geborgenheit und Verzweiflung. Auf diesem Grat schaue ich, gehalten im Inneren, hinaus ins Äußere. Immer balancierend, immer aufmerksam, immer gesichert im Seelischen, dass Jenes mich nicht mit Haut und Haaren verschlinge, in einem unbedachten Augenblick. Mich nicht überwältige und in den Schmerz und in Verzweiflung in dunkle Abgründe treibe. – Wie gestern fast auf dem schmalen Grat geschehen…

Ein Trapezkunststück ist es. Eine Raubtiernummer. Kalkuliert, aber immer am Rande des Abgrunds. Vollführt, um zu erfahren, wie sich der Sprung über den Abgrund anfühlt, der Griff nach dem schwingenden Holz, der heiße, gierige Atem des Tieres an meiner wehrlosen Nacktheit. Um zu erfahren, wie der Absturz zu ertragen ist, ohne sich dem Schmerz hinzugeben und sein willenloser Diener zu werden. Wie die Angst im Sprung, ohne zu verzweifeln. Wie das Zerrissen werden in tierischer Wut zu überstehen ist, ohne selbst zum rasenden Raubtier zu werden, in blutroter panischer Todesangst, in Hass.

Das alles erfahren ohne Angst vor dem Schmerz und ohne Angst vor dem Tod. Und dann, vor allem, ja, nur deshalb: Erkennen, wie der Mensch, der, beraubt von seinem Wissen um seine Beseeltheit, springen und kämpfen muss, zu retten ist aus dieser Arena seiner sinnlosen und verlorenen Existenz im Materialismus. Und dann ihm diesen Weg zu offenbaren.

Einer wird sagen: „Diese Kunststücke, die meistern wir schon seit langer Zeit. Daran ist der Mensch erst geworden, was er ist. Der Herrscher der Welt. Wir sichern uns mit Seilen und mit Netzen. Wir trainieren jeden professionellen Griff. Tausendmal, bis er sitzt. Und dem Tier gegenüber, da tragen wir versteckte Waffen und versteckten Panzer. Haben drei Jäger in Schussweite in den Kulissen versteckt.“

Und das ist die Angst, von der ich spreche. Die Angst, die das Leben bestimmt. Das Leben, das der Materialist betrachtet und dann ratlos mit den Schultern zuckt. „So ist es doch nun mal.“ So konditioniert ist er. So hat er seine Halbheit, sein Leben im Kampf, sein Leben im Leid, als alternativlos, als ‚Gott gegeben‘ akzeptiert.

Der Geheilte aber: Steht er auf dem Trapezturm. Mit geschlossenen Augen springt dieser ganze Mensch. In dem Wissen, dass sein Griff kraftvoll fassen wird. Und lässt er los, dann nicht aus Ermüdung oder Ungeschick. Er lässt los, weil er es angstfrei tun kann und er es selber will. Und er stürzt nicht in den Abgrund. Er fliegt hinab zur Erde. Sanft. Dem Tier begegnet er mit seinem Geiste und beide verlassen den vergitterten Dressurplatz und verweilen in Frieden auf der lichten grünen Wiese am Fluss. Blicken sich an in Freundschaft. In Vertrauen. Nichts ist da versteckt. Nichts ist da, um Abzuwehren…. Das ist das Leben, das dem Menschen zusteht und das dem Menschen im Materialismus vorenthalten wird. Das ihm zur unerreichbaren Illusion erklärt wird, über die er aufgefordert ist, herzlich und abfällig zu lachen. In diesem Leben, da hat die Angst keine Macht mehr über den Menschen, weiß er doch von sich und seinem Leben und seinem Tod. Weiß er doch von ewigen Wahrheiten. Und er ist ruhig. Und er ist klar.

Aber weil er in Angst verharren soll, da wird ihm allein der Gedanke an dieses Leben lächerlich und unerreichbar gemacht. Die Angst vor dem Abgrund, die Angst vor der Bestie, die Angst …vor dem Tod… geschürt. Von wem? Nun, von wem…

Die Hölle ist ein Gemeinschaftswerk der Menschen im Materialismus. Einsam und geblendet vom materialistischen Dogma der Sinnlosigkeit jeder Existenz und ohne es bewusst zu wollen, reißen sie sich und die Welt tiefer und tiefer in sie hinein. Das Paradies ist ein Gemeinschaftswerk der Menschen, die ihre Beseeltheit – noch – spüren. Ohne es zu wissen, retten sie die Welt. Es ist Bewusstsein. Alles ist Bewusstsein. Es liegt am Bewusstsein der Menschen, ob sie in der Hölle erfrieren oder ob sie im lauen warmen Wind des Paradieses in Frieden und Sinn einher schreiten werden.

Lasst dies die letzten Worte sein…

Und nun zum Anfang. Zwölf Jahre zurück. Zu den ersten tastenden Versuchen, den kosmischen Wind, den Bild- und Wortlosen, zu fassen und zu transformieren in Bild und Wort und ihn darzubringen dem, der diese Worte lesen, der diese Bilder schauen wird.

Vorher noch ein letzter Sprung. Ein aller letzter. Ein ganz kurzer.

2023. Zum 1. Januar haben wir unsere Wohnung in der Stadt verlassen. Die Erben waren heilfroh. Verkauft sich ein Haus doch viel besser ohne Mieter.
Wir sind zu einer Freundin gezogen. Haben wieder alles hinter uns gelassen. Noch mehr abgegeben. Noch weniger eingelagert. Bald ist nichts mehr da.

2022 war noch einmal ein Jahr neuer Erkenntnis. Zur Abwechslung einmal nicht aus eigener innerer Wahrnehmung. Sie kam von einem Mann. Von einem Mann, der mir vor 15 Jahren bereits angekündigt worden war. Auch auf ihn habe ich gewartet. 14 Jahre lang. Ich hatte ihn bis jetzt nicht erwähnt.

Ich hatte damals vier Wochen nach meiner Wiederbewusstwerdung eine Vision. Die Vision von einem Mann, der aussah wie der Weihnachtsmann, und der das Universum in seinen Sack gesteckt hatte. Er übergab diesen Sack dem Osterhasen. Das klingt etwas skuril, aber die Vision fand kurz nach Weihnachten statt, so dass das Bild des Weihnachtsmannes für einen Mann mit weißem Bart nicht unbedingt ungewöhnlich sein muss.
Des weiteren sah ich einen Mann mit Dreizack, sitzend auf einem Thron auf einem verschneiten Berg. Ich dachte er sei vielleicht Poseidon. Aber auf einem Berggipfel? Nun, ja.
Der Mann auf dem Berggipfel wurde mein spiritueller Lehrer. Mein Geistführer. Alles habe ich eigentlich von ihm gelernt. Später erfuhr ich, dass er Shiva ist. Der Gott der Schamanen. Dass er der Adiyogi ist, der erste Yogi. Ich hatte nie vorher von ihm gehört. Von seinem heiligen, Schnee bedeckten Berg, dem Kaylash, auch nicht.
Nun ist der Mann mit seinem weißen Bart zu mir gekommen und das erste mal habe ich ihn Ostern 2022 persönlich gesehen. Bei einer Veranstaltung der von ihm initiierten weltweiten Bürgerbewegung Save Soil.
Es war Ostern und er brachte mir das Universum dar. Er ist ein Yogi. Ein Guru (und das hat nichts mit gängigen westlichen Vorurteilen zu tun 😉 Gu Ru heißt Vertreiber der Dunkelheit. Er ist in dem Sinne kein Mensch. Er ist ein personloser kosmischer Zustand. Und ich weiß von mir: Man will dann nur den Menschen dienen. Man kann nichts anderes. Sie ist einfach da. Die Selbstlosigkeit…).
Sein Name ist Sadhguru.
Er wurde mir vor 14 Jahren angekündigt und er hat mich in Form von Shiva, als das universelle Bewusstsein, wohl all diese Jahre begleitet und gelehrt. All das, was ich innerlich erfahren habe, er sagt es nun in verfeinerter, klarer und universeller Form. Auf ihn sollte ich wohl warten. Nun orientiere ich mich an seinem Weg. Ist er doch eigentlich der meine. Nur weiß ich es jetzt.

2023. An einem 19. August sitze ich hier. Seit vier Wochen bin ich mit meinem alten Hochdachkombi auf der Reise. Wieder habe ich alles aufgegeben. Noch viel mehr. Noch weniger eingelagert. Nur noch ein paar Sachen in einem Auto.
Charlotte und ich haben uns vor zwei Monaten entschlossen getrennte Wege zu gehen. In Frieden. Bewusst und nicht im Streit. Eine Verbindung soll dem gegenseitigen Wachstum dienen. Wir haben festgestellt, dass unsere das im Moment nicht mehr tut.
So bin ich vor vier Wochen gegangen. Mit nichts. Kaum Geld. Ohne Vergangenheit. Ohne Zukunft. ich weiß nicht, was geschehen wird.
Ich wollte den Wagen verkaufen. Nur noch den Rucksack. Nur noch wandern. Aber der Wagen fing plötzlich an zu quietschen. So konnte ich ihn niemandem anbieten. Ich nahm die Annonce wieder aus dem Internet. Das Quietschen hörte auf…. Dein Wille geschehe.
Es regnet viel diesen August. Ich bin viel in meinem Wagen. Das ist gut. Karg. Begrenzt. Ich faste. Erkenne. Zentriere mich. Bleibe in der Klarheit. Vermeide, dass Angst oder Einsamkeit mich überkommt. Mein Ego mich überkommt. Lerne mich noch einmal neu kennen. Krisen sind keine Krisen. Es sind Möglichkeiten zum Wachstum. Ohne – scheinbare – Krise gibt es nur Stagnation. Satt und sicher. Niemand bewegt sich, solange er sich satt und sicher fühlt….
Das Leben ist endlich. Der Kosmos so gewaltig. Was ist mein Leben, dass ich es in Angst verbringen könnte? Dienen werde ich dem Kosmos. In Selbstlosigkeit. Im Vertrauen. So, wie ich immer vertrauen und mich hingeben konnte.

Ostern – 2022 – habe ich darum gebeten, dass mein altes Ich sterben möge. Es stirbt nun. Und was wieder erwachen wird. Das weiß ich nicht.

2010 begann ich zu schreiben. All das, was ich damals in den zwei Jahren zuvor erfahren und erkannt hatte, musste zu Papier.
Aus dem einfachen Grund, weil es immer mehr wurde und ich es nicht vergessen konnte. Mein Kopf war voll mit nichts anderem. Schrieb ich es auf, dann wurde es besser. Und ich schrieb weiter. Tag für Tag. Jahr für Jahr.

2023. Und ich sitze in Neuenbeken auf dem alten Pestfriedhof und darf nun alles wirklich vergessen. Alles. Nichts weiß ich mehr. Alles ist nun auf der Webseite der Welt dar gebracht.

2023. Nun darf ich sterben. Omkarnath, der Hüter der Schwingungen, darf nun gehen. Wer wieder auferstehen wird? Wie soll ich das wissen. Es wird geschehen, wie es bestimmt ist. Und ich bin ein Diener des Lebens.

Und nun zum Anfang. Vom Ende zum Anfang. Und wieder zurück…

Niemals darf der Schmerz uns leiten. Unser Handeln erwächst aus dem angstlosen Wissen um unsere Geborgenheit im Sinn, um unsere Beseeltheit und um die ewige Einheit von allem. Wir handeln immer in Liebe zu allem und jedem. Es existiert keine innere Trennung. Niemals darf der Schmerz allein uns leiten.

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