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Der Kranich bei den Fröschen

Der Kranich wurde zu den Fröschen gerufen. Ganz amtlich und sogar offiziell. Zu einer Anhörung sozusagen. Und er kam dieser Aufforderung nach – ganz ruhig und gelassen – und traf sie ihrer fünf (Frösche) ganz unten am Grunde ihres alten Brunnens. Die fünf Frösche saßen mit ihren von Schlamm umspülten Beinchen selbstgefällig im seichten trüben Brunnenwasser und als der Kranich von ganz weit oben zur verabredeten Zeit durch das Brunnenloch zu ihnen hinunter schwebte (Es war eher ein Flattern als ein Schweben, war doch der Brunnen so eng, dass der Kranich seine wunderbaren weiten Flügel überhaupt nicht richtig ausbreiten konnte), da überfiel die Frösche ganz plötzlich und aus heiterem Himmel ein kollektiver grauenvoller Hustenanfall. Und die Frösche husteten und kniffen die Augen zusammen und husteten und drehten sich um und klopften sich gegenseitig auf den Rücken und husteten und husteten und waren so mit sich und dem Husten beschäftigt, dass sie dem Kranich in seinem Sinkflug gar keine Aufmerksamkeit schenkten. Erst als er vor ihnen saß und seine Füße ebenfalls im schlammigen Wasser badete, da hörte das Husten schlagartig auf und nach Luft ringend und mit verkniffenen, geröteten Augen bemerkten die Frösche voller Überraschung plötzlich den Kranich. „Ach, oha! Da bist Du ja schon. Haben Dich gar nicht kommen sehen. Ein kleiner Schleicher, was? Na gut. Nun bist Du da! Dann können wir ja anfangen.“ Und die Frösche setzten sich mit professoraler, ernster Mine leise quakend zurecht in zwei Reihen mit zwei Fröschen in der vorderen und den restlichen drei in der hinteren Reihe. Einer der vorderen Frösche sprach: „Nun, mein Lieber, wir haben Dich zu uns bestellt, weil wir Kunde von seltsamen Geschichten bekommen haben, die aus Deiner Kehle stammen sollen. Von unmöglichen Geschichten. Geschichten, die einige hier verrückt machen und jeden Realitätssinn verlieren lassen. Besonders interessiert uns Deine Geschichte von diesem ‚Meeeer‘. Erzähl uns doch einmal: Was hat das auf sich mit dieser Sache, die Du ‚Meeeer‘ nennst. Keine Scheu. Wir hören Dir gerne zu!“

„Nun, das will ich Euch gerne erzählen. Gerne will ich Euch an dieser Wahrheit teilhaben lassen.“ sprach der Kranich freundlich. Und der Kranich dachte an das Meer und er musste lächeln (Soweit, wie ein Kranich eben lächeln kann. Vielleicht war es mehr ein Lächeln seiner Augen. Oder ein inneres Leuchten. Oder so etwas in dieser Art.) Und er erzählte von der Weite des Meeres und von dessen Bläue und von dessen Gräue und von dessen Bewegung und von dessen Tiefe und von dessen Kraft und von dessen Bewohnern. Und von dem gewaltigen Himmel, der es überspanne.

Und während er sprach war immer wieder ein belustigtes Glucksen einzelner Frösche zu hören. Sie schauten sich dann an und grinsten spöttisch und voller Unglauben über diese in ihren Augen unfassbaren Phantastereien (Nun, sie grinsten soweit, wie Frösche eben grinsen können. Vielleicht war es eher eine Ausstrahlung, die sie hatten. Etwas toxisches, etwas rauchig dunkles atemnehmendes und gleichzeitig etwas scharfes spitzes und stahlhartes. So in dieser Art vielleicht.)

Als der Kranich seine Beschreibung des Meeres beendet hatte, herrschte erst einmal Schweigen. Während der Kranich noch in seinen Erinnerungen an das Meer schwelgte und noch die salzige Luft nachschmeckte und das ozeanische Brausen und Rauschen nachhörte, wechselte der Blick der Frösche von belustigt zu mitleidig betrübt. Ernst waren sie geworden. „Nun….“ sprach der zweite Frosch in der ersten Reihe, seine Worte wägend. „Nun…. Nun bist Du ja auch ein seltsamer Frosch. Das sei voraus geschickt. Es soll kein Vorurteil sein oder etwas in der Art. Es ist ja einfach eine offensichtliche Tatsache. Jeder normale Frosch, der weiß ja, dass die Welt rund ist und von einer Mauer umzogen. Dass dahinter nichts ist. Nichts sein kann. Denn, klopft man gegen die Mauer, da klingt es nicht, als wäre da noch etwas hinter. Das dazu. Das Licht kommt von oben und der Himmel ist rund und klein. Das Wasser ist seicht und schlammig und leben tun hier die Krebse, Molche, Larven, Asseln und einige Wesen mehr, die ich mir spare aufzuzählen. Jeder hat das ja in der Schule gelernt. Nun, ganz faktisch, wie soll da etwas sein, wie ‚Meeeer‘? So tief. Wie sollten die Frösche denn da im Schlamm sitzen?! So ‚nahezu unendlich‘ – Deine Worte! – groß. Quap-fftttt! Was soll denn da für eine Mauer drumherum sein!? Und diese Farben und diese Bewegung! So ein Unsinn! Schau vor Dich auf Deine komischen Füße und sage mir, welche Farbe das Wasser hat! Und wie es sich bewegt!“ Die Stimme des Frosches wurde zunehmend lauter, je mehr er sich in Rage redete. Die anderen Frösche begleiteten seine Worte zustimmend mit einem kollektiven „Quaak-Quaaak-Quaaaaak? Quaak!“ „Keine Molche? Keine Asseln? Stattdessen Robbbbbbön, Dählfihnä, Wahhhhlhö? Was ist das denn alles? Schau Dich doch um in der Welt! Nichts von alledem ist da! Und der Himmel! Schau nach oben. Da ist der Himmel. Kreisrund und klein. Was soll denn da noch sein…..!?“ Der Frosch, der während seiner Ansprache angefangen hatte platschend mal hoch und mal hin und her zu hüpfen, kam wieder etwas zur Ruhe. Ein wenig aus der Puste sagte er, wechselnd zum Kranich und den anderen Fröschen gewandt: „Nun. Nun, wir lassen das für heute einmal so stehen. Aber auf Dauer müssen wir uns etwas überlegen. Etwas, das verhindert, dass jemand überhaupt auf solche absurden Ideen kommt. Uns fällt sicherlich etwas ein, wie wir Frösche mit zu viel Phantasie wieder auf den Boden der Tatsachen bekommen. Und Du, Du seltsamer Frosch, bist nun entlassen. Du wirst viele Nachteile haben, wenn Du weiter so einen Unsinn erzählst. Besser, Du kehrst um und betrachtest die Welt wie sie ist. Betrachtest die Welt so wie wir. Schau Dich um und komm zu Dir!“ Der Frosch machte eine ausladende Geste mit seinen kleinen Armen und schaute den Kranich eindringlich an.

„Na ja, ich habe mir so etwas schon gedacht.“ entgegnete der Kranich freundlich. „Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich Fröschen wie Euch diese Wahrheiten erzähle. Fröschen mit zeitlich begrenztem und plötzlich auftretendem Asthma. Ich bin übrigens ein Kranich.“ Es folgte ein ungeduldiges Aufstöhnen der Frösche ob der nächsten Unglaublichkeit, die sie sich da anhören mussten. „Behauptungen, immer nur Behauptungen!“ riefen einige. Der Kranich lächelte zwischen milde und etwas säuerlich. Dann fuhr er fort: „Und Wesen wie mich könnt Ihr nicht umerziehen, nicht einmal habhaft werden könnt Ihr meiner. Vielen von Euch habe ich es angeboten. Den Weg zum so weiten und so tiefen Meer, aber leider bekamen alle einen lebensgefährlich erscheinenden Hustenanfall und konnten mich deshalb nicht begleiten. Nun sei es so. Ich verlasse Euch nun. Ich wünsche Euch alles Gute und dass Ihr ein glückliches Leben führen werdet und anderen ihr eigenes glückliches Leben lasset.“ Nach diesen Worten breitete der Kranich seine Flügel aus und begleitet von einem urplötzlich auftretenden schallenden krächzen und Husten und Schniefen der Frösche erhob er sich, so gut er es in dieser Enge vermochte, in die Höhe und entschwand durch das Brunnenloch ins Licht. „Es ermüdet.“ dachte er bei sich, das Brunnenloch immer weiter unter und hinter sich lassend. „Aber weder die Frösche noch ich können etwas dafür, dass ich Flügel habe und sie keine… Nur dieser verdammte Husten! Wenn der nicht wäre, dann könnten sie zumindest etwas sehen. Das Fliegen sehen. Vielleicht mit mir das Meer sehen! Vielleicht könnten ihnen dann auch eigene Flügel wachsen… Nun, wer weiß das schon… Aber ich versuche es trotzdem immer weiter. Wenn ich einem einzigen Frosch das Meer zeigen kann, dann hat sich der Aufwand schon gelohnt… Nur dieses Gequatsche, das ist wirklich sehr, sehr, sehr ermüdend…“ So schloss der Kranich seinen Gedankengang, während unten, am Grunde des alten Brunnens, sich die Frösche urplötzlich von Ihrem schlimmen Hustenanfall erholten und mit tränenden Augen schniefend um sich schauten und feststellten, dass dieser komische Frosch wohl zwischenzeitlich weg gehüpft sein müsse. „Quaaak.“ macht der erste. „Quaaaa-aak! Macht der zweite. QUAAAAAK! QUAAAAK!“ machen alle mit im Chor. Und baden wohlig ihre Füße im schlammigen Wasser.

Niemals darf der Schmerz uns leiten. Unser Handeln erwächst aus dem angstlosen Wissen um unsere Geborgenheit im Sinn, um unsere Beseeltheit und um die ewige Einheit von allem. Wir handeln immer in Liebe zu allem und jedem. Es existiert keine innere Trennung. Niemals darf der Schmerz allein uns leiten.

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