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Von Ameisen und Menschen

Auf der fünf Meter langen Ameisenstraße tragen eine große Anzahl Ameisen linsengroße Palmensamen von der Stelle an denen diese heruntergefallen und liegen geblieben sind hinein in ihren Bau, dessen Eingang eine zwei Zentimeter hohe Höhle im Zwischenraum zwischen zwei großen Steinen ist.

Nach und nach im Laufe der Zeit verschwinden unzählige dieser Samen in der kleinen Höhle. Der Eingang wird bewacht von drei Ameisen mit gewaltigen Köpfen an denen sich ebenso gewaltige Zangen befinden. Rastlos patrouillieren sie im Umkreis von zwanzig Zentimetern um den Eingang. Bereit, jedem den Kopf abzuschneiden, der sich unautorisiert dem Eingang nähert. Bereit, ihr Leben für den Ameisenstamm zu geben.

Im Inneren des Baus werden die Samen gelagert und als Nahrung für den Stamm genutzt.

Jeder tut seinen Dienst für das Überleben des Stammes. Die Ameisenkriege auf diesem staubigen Plateau sind grausam. Geraten zwei Stämme bei ihrer Nahrungssuche zu nahe zusammen, dann wirft jeder Stamm alle seine Soldaten in die Schlacht. Am Ende ist die ungefähre Mitte zwischen den beiden Bauen übersät mit zerstückelten und verkrümmten Ameisenleichen.

Das ist das Gesetz der Materie. Ausbreiten und Akkumulieren. Das ist das Leben, dass sich Materialisten auch für die Menschheit vorstellen. Alles für seinen Stamm. Alle Energie. Das ganze Leben. Nur mit einem Unterschied: Eigentlich zählt in der materialistischen Gesellschaft der Menschen dann doch nicht der Stamm. Es zählen diejenigen, die individuell am besten ausbreiten und akkumulieren. Für sich.
Jeder ist sein eigener Stamm – denken die, die gut im Akkumulieren und Ausbreiten sind. Alle anderen sollen schön mit ihrem Leben dem Überleben des für jene so günstigen Systems dienen.
Nicht klagen. Arbeiten. Kriege führen. Nicht stören. Nicht zu viel für sich verbrauchen. Und dann schnell sterben.

Warum klappt dieses kollektive Maschinendasein bei der Ameise aber beim Menschen nicht? Warum ist jeder Mensch sein eigener Stamm und die besten Materialisten erobern sich die ganzen Ressourcen?
Weil der Mensch keine Maschine ist. Er nimmt jenseits der materiellen Welt wahr. Er kann nicht Maschine in einer Maschinenwelt sein. Er ist mehr. Aber er kann diese Wahrnehmung von Mehrsein nicht mehr für sich interpretieren.
Also hat er Angst. Angst, weil er nur noch ein sinnloses Maschinendasein sieht, das ihm nicht gerecht wird. Das ihn deshalb leiden lässt. Er ist verzweifelt, voller Leid und will nicht vergehen.
Er will sein „Mehr“, seine Ganzheit, die innere Einheit, die er wortlos ahnt, wieder erlangen.
Und so rafft er und rafft und tötet in sich und in anderen, nur um endlich die einsame Ruhe genießen zu können, von der er ahnt, dass es sie gibt.
Aber er geht den falschen Weg. Die einsame Ruhe ist nur in ihm selbst zu finden. In ihm. Und die Einheit auch. Alles nur in ihm. Äußeres Vernichten, Ausbreiten und Akkumulieren heilt seine Sehnsucht nicht.
Aber mehr kennt er nicht mehr. Deshalb lebt der Mensch mittlerweile wie eine Ameise in einem – zu allem Pech auch noch geisteskranken – Ameisenstamm und leidet unaussprechliche Qualen in seiner lebenslangen Gefangenschaft in dieser für ihn als Menschen grotesken Maschinenexistenz.

Aller „Wohlstand“, alles „Haben“, alles „Besitzen“, alle materiellen „Möglichkeiten“ sind nur auf den – halben – Menschen übertragene Umstände seiner Maschinenexistenz.
Weil seine Existenz komplexer ist als die einer Ameise, bedeutet das nicht, dass sie im Kern irgendwie anders ist.
„Wohlstand“, „Haben“, „Besitzen“, „Möglichkeiten“ sind seine Instinkte, die ihn am Funktionieren halten. Nur eben als Einzelstamm und gegen alle anderen Einzelstämme – der einen gesellschaftlichen Scheingesamtstamm wackelig und höchst fragil am Existieren hält.
Das ist das Gesetz der Materie in seiner fehlgeleiteten Form. Es ist die Todesangst im Einzelnen, die Amok läuft und in allem und jedem nur noch Gegner oder Ressource sehen kann.
Und diejenigen mit der besonders großen Todesangst, sie schaffen die Atmosphäre, das Umfeld, die Regeln, die diese Grabenkriege noch befeuern und für den Einzelnen zur einzig möglichen Existenz werden lassen.

Den Grabendolch fest in die Faust und hinein in den Nahkampf. Ein Griff in die Augen, ein Stich in die entblößte Kehle. Wieder einer weniger, der mir Angst machen könnte, der eine Gefahr für mich sein könnte. Einer weniger, von Trilliarden Angst einflößenden Eindrücken.
Alle müssen sie sterben. Alles muss sterben. Dann ist endlich Ruhe…Und nun der Sprung in den nächsten Graben. Und hoch den bluttriefenden Dolch. Alles muss sterben. Sterben. Sterben. Sterben…


…das kann nicht „das Leben“ sein, oder?

Niemals darf der Schmerz uns leiten. Unser Handeln erwächst aus dem angstlosen Wissen um unsere Geborgenheit im Sinn, um unsere Beseeltheit und um die ewige Einheit von allem. Wir handeln immer in Liebe zu allem und jedem. Es existiert keine innere Trennung. Niemals darf der Schmerz allein uns leiten.

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